Arm und Reich
Erbsen ist das jedoch nicht der Fall. In der Natur sind solche Mutanten dazu verdammt, in ihren Hülsen zu verkümmern, während nur die Erbsen aus aufspringenden Hülsen in der Lage sind, ihr Erbgut weiterzugeben. Umgekehrt sind jedoch die einzigen Hülsen, die darauf warten, vom Menschen gepflückt zu werden, eben jene, die nicht aufspringen. Sobald der Mensch begann, wilde Erbsen als Nahrung zu ernten, begann deshalb sofort eine Auslese zugunsten jenes mutierten Gens. Auch bei Linsen, Flachs und Mohn fiel die Wahl auf Mutanten, deren Hülsen nicht aufspringen wollten.
Statt in einer Hülse mit Aufspringmechanismus wachsen die Körner von Wildweizen und -gerste in Ähren an der Halmspitze, die, wenn die Zeit gekommen ist, brüchig werden, zerfallen und die Körner zum Keimen auf den Boden werfen. Ein einziges mutiertes Gen bewirkt, daß die Samenkörner nicht abgeworfen werden. In der Natur wäre diese Mutation für die Pflanze verhängnisvoll, da die Samen an den Halmen vertrocknen würden, statt im Erdreich Wurzeln zu schlagen. Es waren aber ausgerechnet jene mutierten Samenkörner, die von Menschen bequem geerntet werden konnten. Bei späterer Aussaat boten sich an den Halmen der nächsten Generation wieder besonders die mutierten Körner zum Ernten und Aussäen an, während die normalen Körner abgeworfen wurden und deshalb nicht in Frage kamen. Dies bedeutet, daß die frühen Bauern die Richtung der natürlichen Selektion um 180 Grad verkehrten: Das zuvor erfolgreiche Gen wurde verhängnisvoll, und das zuvor verhängnisvolle mutierte Gen wurde plötzlich erfolgreich. Jene unbewußte Selektion von Weizen- und Gerstenhalmen, die ihre Körner nicht abwarfen, war vor über 10 000 Jahren offenbar die erste bedeutende »Verbesserung« einer Pflanze durch den Menschen. Dieser Schritt markierte zugleich den Beginn der Landwirtschaft im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds.
Der zweite Veränderungstyp war für frühzeitliche Wanderer noch weniger sichtbar. Bei einjährigen Pflanzen, die in Gebieten mit besonders unberechenbarem Klima wuchsen, konnte es katastrophal sein, wenn alle Samen binnen eines kurzen Zeitraums gleichzeitig keimten. Wo dies geschah, konnten in einer einzigen Dürre- oder Frostperiode alle Sämlinge eingehen, so daß für die Fortpflanzung der Art keine Samen mehr übrig waren. Um ihre Chancen auf Fortpflanzung zu erhöhen, entwickelten deshalb viele einjährige Pflanzen als Schutzmechanismus den sogenannten Keimverzug, der bewirkt, daß die Samen zunächst in einem Ruhezustand »schlummern« und die Keimung über mehrere Jahre verteilt erfolgt. Auf diese Weise bleiben immer einige Samen für später intakt, selbst wenn die meisten durch anhaltendes Unwetter eingehen.
Eine bei Wildpflanzen häufig vorkommende Anpassung, die der Erhöhung der Keimungschancen dient, ist eine dicke Schale um die Samen. Zu den zahlreichen Wildpflanzen, die dafür Beispiele liefern, zählen Weizen, Gerste, Erbsen, Flachs und Sonnenblumen. Während solche spätsprießenden Samen in der Natur am Ende doch zum Zuge kommen, brachte das Aufkommen der Landwirtschaft einen drastischen Wandel mit sich. Die frühen Bauern dürften durch Ausprobieren herausgefunden haben, daß sie ihre Ernteerträge steigern konnten, wenn sie den Boden vor der Aussaat bestellten und bewässerten. Als dies geschah, wuchsen Samen, die prompt keimten, zu Pflanzen heran, deren Samen geerntet und im folgenden Jahr zur Aussaat verwendet wurden. Viele der wilden Samen keimten jedoch nicht sofort und kamen deshalb nicht dazu, geerntet und im Folgejahr ausgesät zu werden.
Den sporadisch auftretenden mutierten Wildpflanzen mangelte es an dicken Samenschalen oder anderen Möglichkeiten, die Keimung zu verzögern. Sie keimten sofort, und von den Samen, die sie hervorbrachten, wurden wiederum die mutierten geerntet. Die frühen Bauern dürften den Unterschied nicht in der Weise bemerkt haben, wie sie große Beeren erkannten und selektiv ernteten. Der Kreislauf von Säen-Wachsen-Ernten-Säen führte jedoch sofort und unbewußt zu einer Begünstigung der Mutanten. Ebenso wie die Veränderungen in den natürlichen Samenverbreitungsmitteln ist der Verlust des Keimverzugs kennzeichnend für Weizen, Gerste, Erbsen und viele andere Kulturpflanzen im Unterschied zu ihren wildwachsenden Vorfahren.
Der letzte Haupttyp einer in der Entstehungsphase der Landwirtschaft für Bauern unsichtbaren
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