Arm und Reich
vorherigen Jagd- und Sammelwirtschaft einherging. Das hatte damit zu tun, daß die Bevölkerungsdichte etwas schneller zunahm als die Menge der verfügbaren Nahrung.
Zusammen betrachtet, helfen uns diese ersten vier Faktoren zu verstehen, warum die Landwirtschaft in Vorderasien um 8500 v. Chr. begann und nicht schon um 18 500 oder 28 500 v. Chr. An den beiden früheren Zeitpunkten war die Lebensweise der Jäger und Sammler noch sehr viel ertragreicher als landwirtschaftliche Aktivitäten. Wild war noch im Überfluß vorhanden, wildes Getreide dagegen eher rar. Außerdem waren die für das Sammeln, Verarbeiten und Lagern von Getreide erforderlichen Techniken noch nicht erfunden, und die Bevölkerungsdichten waren noch nicht hoch genug, um der Steigerung der Kalorienerzeugung pro Hektar einen hohen Stellenwert zu geben.
Ein letzter Faktor erhielt dort entscheidende Bedeutung, wo Regionen mit bäuerlicher Bevölkerung und solche, die von Jägern und Sammlern bewohnt waren, aneinandergrenzten. Aufgrund ihrer sehr viel höheren Bevölkerungsdichte konnten Nahrungsproduzenten Jäger- und Sammlerpopulationen schon allein wegen ihrer zahlenmäßigen Übermacht vertreiben oder in einem Gebiet ausrotten, von den anderen Vorteilen im Gefolge der Landwirtschaft (wie Technik, Krankheitserreger, stehende Heere) ganz zu schweigen. In Gebieten, in denen zunächst nur Jäger und Sammler lebten, vermehrten sich diejenigen von ihnen, die zur Landwirtschaft übergingen, schneller als jene, die diesen Schritt nicht taten.
Als Folge ereilte Jäger und Sammler in den meisten für landwirtschaftliche Zwecke geeigneten Regionen eines von zwei Schicksalen: Entweder sie wurden von benachbarten Nahrungsproduzenten verdrängt, oder sie retteten sich, indem sie selbst Bauern wurden. In Gebieten, in denen die Zahl der Jäger und Sammler schon beträchtlich war, und auch dort, wo die geographischen Verhältnisse ein rasches Vorrücken von Nahrungsproduzenten verhinderten, blieb den örtlichen Jägern und Sammlern mehr Zeit, um sich landwirtschaftliche Techniken anzueignen und so ihr Überleben zu sichern. Dies könnte für den Südwesten der heutigen USA, den westlichen Mittelmeerraum, die europäische Atlantikküste und Teile Japans zutreffen. In Indonesien und anderen Teilen Südostasiens, im größten Teil Afrikas südlich des Äquators und wahrscheinlich auch in Teilen Europas mußten Jäger und Sammler hingegen in prähistorischer Zeit bäuerlichen Bevölkerungen weichen. Ähnliches geschah in jüngerer Vergangenheit in Australien und im Westen der USA.
Nur dort, wo besonders große geographische oder ökologische Hürden einer Zuwanderung bäuerlicher Bevölkerungsgruppen beziehungsweise der Ausbreitung landwirtschaftlicher Techniken, die an die örtlichen Bedingungen angepaßt waren, im Wege standen, konnten Jäger und Sammler bis in die jüngere Vergangenheit in Gebieten weiterleben, die auch für Ackerbau und/oder Viehzucht geeignet waren. Drei herausragende Beispiele liefern die Indianer Kaliforniens, die durch Wüsten von den Landwirtschaft treibenden Indianern Arizonas getrennt waren, die Khoisan-Völker der südafrikanischen Kapregion in ihrer mediterranen Klimazone, die für die aus Äquatornähe stammenden Anbaupflanzen der benachbarten Bantu-Bauern ungeeignet war, und die Aborigines des australischen Kontinents, die flache Gewässer von den bäuerlichen Bewohnern Indonesiens und Neuguineas trennten. Die wenigen Völker, die bis ins 20. Jahrhundert Jäger und Sammler blieben, entgingen der Verdrängung durch bäuerliche Bevölkerungsgruppen nur, weil sie in Gebieten lebten, die für eine landwirtschaftliche Nutzung nicht in Frage kamen, beispielsweise in Wüsten und arktischen Gefilden. Bevor das 20. Jahrhundert zu Ende geht, werden auch sie den Verlockungen der Zivilisation erlegen, von Bürokraten oder Missionaren zur Seßhaftigkeit gedrängt oder Krankheiten zum Opfer gefallen sein.
KAPITEL 6
Wie eine Mandel zur Mandel gemacht wird
Die unabsichtliche Züchtung der ersten Anbaupflanzen
W er durch die Natur wandert und einmal Lust auf Abwechslung von der Alltagskost verspürt, wird es besonders reizvoll finden, hier und da am Wegesrand wildwachsende Früchte zu probieren. Von einigen Wildpflanzen, wie etwa Walderdbeeren oder Heidelbeeren, wissen wir, daß sie gut schmecken und nicht giftig sind. Sie besitzen genügend Ähnlichkeit mit bekannten Kulturpflanzen, um
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