Arm und Reich
es uns leicht zu machen, sie zu erkennen, auch wenn sie viel kleiner sind als die Früchte, die in unseren Gärten und Treibhäusern reifen. Noch mutigere Wanderer essen sogar Pilze – nicht ohne Vorsicht, weiß man doch, daß viele Arten starke Gifte enthalten. Doch nicht einmal ein begeisterter Nußesser würde auf die Idee kommen, wilde Mandeln zu verspeisen, von denen mehrere Dutzend Arten genug Cyanid (das Gift, das in den Gaskammern der Nazis verwendet wurde) enthalten, um den Unvorsichtigen ins Jenseits zu befördern. Die Wälder sind voller Pflanzen, deren Früchte ebenfalls als ungenießbar gelten.
Nun stammen aber alle heutigen Kulturpflanzen von wilden Ursprungsarten ab. Wie kam es, daß manche Wildformen in Kulturformen verwandelt wurden? Besondere Rätsel geben jene Pflanzen auf, deren wildwachsende Vorfahren tödliches Gift enthalten oder schlecht schmecken, aber auch solche, die (wie Mais) ganz anders aussehen als ihre wilden Ahnen. Welcher Höhlenmensch mag auf die Idee gekommen sein, eine Pflanze zu domestizieren, und wie gelang ihm das wohl?
Die Pflanzendomestikation kann so definiert werden, daß eine Pflanze in ihren genetischen Eigenschaften – bewußt oder unbewußt – in einer Weise verändert wird, die sie für den Menschen nützlicher macht als ihre wilden Ahnen. Heute ist die Entwicklung neuer Kulturpflanzen das Betätigungsfeld hochqualifizierter Wissenschaftler. In Kenntnis Hunderter bestehender Nutzpflanzen bemühen sie sich, weitere zu züchten. Um dieses Ziel zu erreichen, pflanzen sie eine Vielzahl verschiedener Samen oder Wurzeln, wählen die besten Resultate aus und pflanzen den neuen Samen wieder in die Erde; dies alles geschieht unter Anwendung von Kenntnissen der Erbbiologie und vielleicht sogar neuester gentechnischer Methoden zur Übertragung besonders wertvoller Gene. Wir haben es mit einer hochspezialisierten Wissenschaft zu tun. So ist an der University of California ein ganzes Institut dem Apfel gewidmet (»Seminar für Pomologie«), ein anderes den Weinbeeren und dem Wein (»Seminar für Weinbau und Önologie«).
Die Anfänge der Pflanzendomestikation liegen jedoch über 10 000 Jahre zurück, woraus folgt, daß die ersten Ackerbauern ohne Molekulargenetik auskommen mußten. Sie besaßen nicht einmal Vorbilder in Gestalt existierender Nutzpflanzen, an denen sie sich hätten orientieren können. Deshalb konnten sie auch nicht ahnen, daß bei dem, was sie taten, schmackhafte Früchte herauskommen würden.
Wie kam es dann zur unbewußten Domestikation von Pflanzen durch die ersten Ackerbauern? Oder genauer, wie verwandelten sie beispielsweise, ohne genaues Ziel vor Augen, giftige Mandeln in ungiftige? Welche Veränderungen nahmen sie an Wildpflanzen noch vor, außer einige zu vergrößern oder ihren Giftgehalt zu verringern? Selbst bei wertvollen Kulturpflanzen variieren die Zeitpunkte der Domestikation beträchtlich: So war die Erbse um 8000 v. Chr. domestiziert, die Olive um 4000 v. Chr., die Erdbeere erst im Mittelalter und die Pekannuß nicht vor 1846. Viele Wildpflanzen, deren Früchte heute von Millionen Menschen gepriesen werden, wie etwa die Eiche, deren Früchte in vielen Teilen der Welt gegessen werden, verweigern sich bis jetzt der Domestikation. Warum waren einige Pflanzen offenbar soviel leichter domestizierbar oder luden mehr dazu ein als andere? Warum gelang die Domestikation des Olivenbaums schon in der Steinzeit, während die Eiche selbst den begabtesten Agronomen unserer Zeit erfolgreich trotzt?
Beginnen wir mit einer Betrachtung der Domestikation aus der Sicht der Pflanzen. Für sie ist der Mensch nichts weiter als eine von Tausenden von Tierarten, die unbewußt Pflanzen »domestizieren«. – Wie alle Tierarten (einschließlich des Menschen) müssen auch Pflanzen das Problem lösen, ihre Ableger an einen Ort zu bringen, wo sie wachsen, gedeihen und die elterlichen Erbanlagen weitergeben können. Tierjunge können sich per pedes oder mit Hilfe von Flügeln an einen solchen Ort begeben, doch Pflanzen fehlt diese Möglichkeit, so daß sie fremde Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Während die Samen einiger Wildpflanzenarten so beschaffen sind, daß sie durch die Luft segeln oder auf dem Wasser treiben können, bedienen sich viele andere eines Tricks, mit dem sie Tiere einspannen, um ihren Samen zu transportieren. Der Trick besteht darin, die Samen mit wohlschmeckenden Früchten zu umhüllen und deren
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