Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
zu säen, waren es unweigerlich Samen jener Pflanzen, auf die ihre Wahl beim Pflücken gefallen war – auch wenn ihnen die Regeln der Erbbiologie unbekannt waren, nach denen aus den Samenkörnern großer Beeren mit hoher Wahrscheinlichkeit Sträucher mit ebenfalls großen Bee­ren wachsen. – Bahnt man sich also an einem schwülen Tag den Weg durch ein dorniges Gestrüpp voller Mücken, dann sicher nicht wegen einer x­beliebigen Erdbeer­staude. Stets trifft man Entscheidungen – wenn auch viel­leicht unbewußt – darüber, welche Pflanze am vielver­sprechendsten aussieht und ob sich die Mühe überhaupt lohnt. Welches sind unsere unbewußten Kriterien?
    Eins betrifft natürlich die Größe. Große Beeren wer­den bevorzugt, da es Zeitvergeudung wäre, sich wegen ei­ner Handvoll mickriger Beeren einen Sonnenbrand und Mückenstiche zu holen. Damit ist teilweise erklärt, wa­rum viele Nutzpflanzen wesentlich größere Früchte tra­gen als ihre wildwachsenden Vorfahren. Besonders ver­traut ist uns der Vergleich der geradezu gigantischen Erd­beeren und Heidelbeeren im Supermarkt mit denen, die uns in der Natur begegnen; diese Unterschiede sind erst in den letzten Jahrhunderten entstanden.
    Bei anderen Pflanzen gehen derartige Größenunter­schiede auf die Anfänge der Landwirtschaft zurück, als zum Beispiel Erbsen durch die Auslese des Menschen immer schwerer wurden, bis sie zehnmal soviel wogen wie Wilderbsen. Die kleineren Wilderbsen hatten Jä­ger und Sammler schon seit Jahrtausenden geerntet, so wie wir heute noch kleine Heidelbeeren im Wald pflücken, bevor das selektive Ernten und Pflanzen der an­sprechendsten, größten Wilderbsen – also das, was wir Züchtung nennen – automatisch zu einer Steigerung der durchschnittlichen Erbsengröße von einer Genera­tion zur nächsten führte. Ähnliches gilt für Äpfel, de­ren in Supermärkten angebotene Vertreter meist einen Durchmesser von 7–8 cm haben, während es Wildäpfel nur auf 2–3 cm bringen. Waren die ältesten Maiskol­ben kaum mehr als 1 cm lang, so hatten mexikanische Indianer gegen 1500 n. Chr. bereits bis zu 15 cm lange Kolben gezüchtet. Heute findet man sogar Maiskolben von über 40 cm Länge.
    Ein weiterer offenkundiger Unterschied zwischen den Samen, die wir in der Landwirtschaft verwenden, und vielen ihrer wilden Vorfahren liegt im Geschmack. Im Laufe der Evolution nahmen viele wilde Samen einen bitteren, üblen Geschmack an oder wurden sogar giftig, was sie davor schützte, von Tieren gefressen zu werden. Somit hat die natürliche Selektion auf Samen und Früch­te eine entgegengesetzte Wirkung. Pflanzen mit wohl­schmeckenden Früchten lassen ihre Samen zwar von Tieren ausstreuen, doch der Samen selbst, der sich in der Frucht verbirgt, muß möglichst ungenießbar sein. Denn sonst würde das Tier, das die Frucht frißt, auch den Sa­men zerkauen, und er könnte nicht mehr sprießen.
    Mandeln geben ein bemerkenswertes Beispiel für bit­tere Samen und ihre Veränderung durch Domestikati­on ab. Die meisten wilden Mandelsorten enthalten ei­nen äußerst bitteren Stoff mit dem Namen Amygdalin, bei dessen Aufspaltung das schon erwähnte Gift Cyanid entsteht. Eine kleine Portion wilder Mandeln enthält ge­nug von diesem Gift, um einen Menschen, der so leicht­sinnig ist, die Warnung des bitteren Geschmacks in den Wind zu schlagen, umzubringen. Da das erste Stadium der unbewußten Domestikation mit dem Sammeln von Samen zwecks Verzehr verbunden ist, fragt man sich, wie dann überhaupt die Domestikation wilder Mandeln dieses Stadium erreichen konnte?
    Die Erklärung lautet, daß einzelne Mandelbäume ge­legentlich ein mutiertes Gen aufweisen, das die Synthese des bitteren Amygdalins verhindert. In der Natur hinter­lassen solche Bäume keinen Nachwuchs, da die Verände­rung von Vögeln entdeckt wird, die daraufhin alle Samen auffressen. Neugierige oder hungrige Kinder der frühen Bauern, die an den Wildpflanzen ihrer Umgebung her­umknabberten, dürften aber ebenfalls dann und wann auf diese nichtbitteren Mandeln gestoßen sein. (Ähn­lich erkennt und schätzt man in manchen Gegenden Europas noch heute einzelne Eichbäume mit süßen statt bitteren Eicheln.) Nur jene nichtbitteren Mandeln hät­ten die angehenden Bauern gepflanzt, zunächst unab­sichtlich auf ihren Müllhaufen, später bewußt in Gär­ten und Plantagen.
    Schon um 8000 v. Chr. tauchten wilde Mandeln in Griechenland auf, wie archäologische Funde belegen. Bis

Weitere Kostenlose Bücher