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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Pflanzen, deren Anteil in diesem Raum besonders hoch ist. Die Kombination dieser ersten bei­den Faktoren – große Artenvielfalt plus hohem Anteil einjähriger Pflanzen – führte dazu, daß die mediterra­ne Klimazone im westlichen Eurasien von allen Regio­nen der Welt mit Abstand die größte Vielfalt einjähri­ger Pflanzen aufweist.
    Die Bedeutung dieser reichen botanischen Ausstat­tung für den Menschen wird durch die Untersuchun­gen des Geographen Mark Blumler über die Verbrei­tung von Wildgräsern veranschaulicht. Unter den Tau­senden von Wildgräsern, die auf der Welt vorkommen, ermittelte Blumler die »Crème de la crème«, sprich die 56 Arten mit den größten Samen (mindestens zehnmal schwerer als der Durchschnitt aller Gräser), und faßte sie übersichtlich zusammen (siehe Tabelle 7.3). Wie sich zeigte, sind fast alle in mediterranen Klimazonen oder anderen Regionen mit periodischen Trockenzeiten hei­misch. Außerdem ergab sich eine überwältigende Häu­fung im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds und in anderen Teilen der mediterranen Klimazone des west­lichen Eurasien, so daß angehende Bauern dort eine rie­sige Auswahl unter etwa 32 der 56 großsamigsten Wild­gräser vorfanden! Zu erwähnen sind insbesondere Ger­ste und Emmerweizen, die beiden ältesten bedeutenden Kulturpflanzen Vorderasiens, die unter den 56 führen­den Gräsern die Plätze 3 und 15 einnehmen. Demgegen­über fanden sich in der mediterranen Klimazone Chiles nur zwei dieser Arten, in Kalifornien und im südlichen Afrika nur jeweils eine und in Südwestaustralien über­haupt keine. Diese Tatsache allein ist schon von großer Tragweite für den Lauf der Geschichte.

    Mark Blumler führt in seiner Doktorarbeit mit dem Titel »Seed Weight and Environment in Mediterranean­type Grasslands in California and Israel« (University of California, Berkeley, 1992) in Tabelle 12.1 die 56 Wildgräser mit den schwersten Samenkör­nern (Bambus nicht mitgerechnet) auf, für die Daten vorlagen. Das Gewicht der Körner reichte bei den untersuchten Arten von 10 mg bis über 40 mg – das entspricht etwa dem Zehnfachen des mittleren Gewichts der Samenkörner aller Grasarten der Welt. Jene 56 Arten stellen weniger als ein Prozent aller Grasarten dar. Die obige Tabelle zeigt, daß sich diese »Supergräser« stark auf die mediterrane Zone des westlichen Eurasien konzentrieren .
    Tabelle 7.1 Verbreitung großsamiger Gräser auf der Welt
    Ein dritter Vorteil der mediterranen Klimazone in Vorderasien besteht in ihrer vielfältigen Topographie und den vielen verschiedenen Höhenlagen in geringer Ent­fernung voneinander. Das Spektrum reicht vom Toten Meer, dem niedrigsten Punkt der Erde, bis zu den über 5000 Meter hohen Berggipfeln unweit Teherans, mit der Folge, daß innerhalb kurzer Distanzen sehr unterschied­liche Umweltbedingungen herrschen, was wiederum zu einer großen Vielfalt von Wildpflanzen, den potentiellen Vorfahren unserer Kulturpflanzen, beitrug. Nicht weit von jenen steilen Berghängen liegen sanfte Flachland­zonen mit Flüssen, Überschwemmungsebenen und Wü­sten, die durch Bewässerung fruchtbar gemacht werden konnten. Im Gegensatz hierzu herrscht in den mediter­ranen Klimazonen vor allem Südwestaustraliens, aber auch Südafrikas und Westeuropas weniger Abwechs­lungsreichtum in puncto Höhenlagen, Lebensräume und topographische Gegebenheiten.
    Eine Folge der vielfältigen Höhenlagen im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds waren gestaffelte Erntezeiten: Die Samen von Pflanzen, die in höheren Lagen wuch­sen, wurden etwas später reif als die in tieferen Lagen. Sammler konnten deshalb bequem bergan ziehen und in jeder Höhenlage die gerade reif gewordenen Getrei­dekörner ernten, statt sich einem Meer von Gräsern mit gleichzeitig reifenden Körnern gegenüberzusehen, die gar nicht auf einmal zu bewältigen waren. Der Übergang zum Getreideanbau war dann gar nicht mehr so ein gro­ßer Schritt. Die ersten Ackerbauern brauchten bloß die Samen von Wildgetreide zu ernten, das an Berghängen wuchs, wo es auf unberechenbare Regenfälle angewie­sen war, und diese dann in den feuchten Tälern auszu­säen, damit sie dort, bei verringerter Abhängigkeit von Regenfällen, unter Aufsicht gedeihen konnten.
    Mit der biologischen Vielfalt Vorderasiens auf engem Raum hängt auch ein vierter Vorteil zusammen: der Reichtum dieser Region nicht nur an Vorfahren wert­voller Kulturpflanzen, sondern auch an Vorfahren do­mestizierter

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