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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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grundlegend ändern, ihre Samen mußten viel größer werden, und die harten Schalen um die Körner mußten verschwinden. Unter Archäologen wird immer noch lebhaft darüber debattiert, wie viele Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende wohl vergingen, bis die anfangs winzigen Maiskolben auch nur daumengroß waren. Klar erscheint indessen, daß es weitere Jahrtausende dauer­te, bis Maiskolben von heutiger Größe geerntet werden konnten. Diese Diskrepanz zwischen den natürlichen Vorzügen von Weizen und Gerste und den Schwierig­keiten bei der Domestikation von Teosinte waren wo­möglich von entscheidender Bedeutung für die unter­schiedliche Entwicklung der Gesellschaften in Eurasien und der Neuen Welt.
    Ein dritter Vorteil der Pflanzenwelt Vorderasiens be­steht darin, daß sie einen hohen Prozentsatz zwittriger Selbstbestäuber aufweist, das heißt von Pflanzen, die sich normalerweise selbst befruchten, wobei gelegentli­che Kreuzbefruchtungen möglich sind. Wie schon er­wähnt, sind die meisten Wildpflanzen entweder regel­mäßig kreuzbefruchtete Zwitter oder sie treten in ge­trennter männlicher und weiblicher Form auf und sind auf gegenseitige Bestäubung angewiesen. Diese Fakten der Reproduktionsbiologie stellten frühzeitliche Bauern vor große Probleme, da immer dann, wenn sie einen er­tragreichen Mutanten entdeckt hatten, dessen Nachkom­men die geerbten Vorzüge durch Kreuzung mit ande­ren Pflanzen wieder verloren. Nicht zuletzt war dies der Grund, warum die meisten Kulturpflanzen zu dem ge­ringen Prozentsatz von Wildpflanzen gehören, die ent­weder selbstbestäubende Zwitter sind oder sich durch ungeschlechtliche Fortpflanzung vermehren (z. B. durch Bildung genetischer Doppelgänger aus den Wurzeln ei­ner Mutterpflanze). Der hohe Anteil zwittriger Selbstbe­stäuber an der Pflanzenwelt Vorderasiens stellte deshalb einen Vorteil für frühe Bauern dar, bedeutete er doch, daß ein hoher Prozentsatz der Wildpflanzen eine für den Menschen günstige Reproduktionsbiologie besaß.
    Ein weiterer Vorteil von Selbstbestäubern lag darin, daß es bei ihnen von Zeit zu Zeit zu Kreuzbefruchtungen kam, wobei neue Sorten entstanden, unter denen dann ausgewählt werden konnte. Die gelegentlichen Kreuzbefruchtungen beschränkten sich nicht auf Pflanzen der gleichen Art, sondern bezogen auch verwandte Arten mit ein. Eine solche Artenkreuzung unter den Selbstbe­stäubern Vorderasiens brachte zum Beispiel den Brot­weizen hervor, eine der wertvollsten Anbaupflanzen der Gegenwart.
    Die ersten acht bedeutenden Anbaupflanzen, die in Vorderasien domestiziert wurden, waren ausnahmslos Selbstbestäuber. Von den drei Getreidearten darunter – Einkornweizen, Emmerweizen und Gerste – besaßen die beiden Weizensorten den zusätzlichen Vorteil eines hohen Eiweißgehalts (8–14 Prozent). Demgegenüber hat­ten die bedeutendsten Getreidepflanzen Ostasiens und der Neuen Welt – Reis und Mais – den Nachteil eines geringeren Eiweißgehalts.
    Damit sind einige der Vorteile genannt, die Vordera­siens Pflanzenwelt für die ersten Bauern bereithielt: Sie wies einen ungewöhnlich hohen Anteil von Wildpflan­zen auf, die sich zur Domestikation eigneten. Die me­diterrane Klimazone, in der Vorderasien liegt, erstreckt sich jedoch nach Westen über einen großen Teil Euro­pas und den Nordwesten Afrikas. Überdies weisen vier andere Regionen der Welt ebenfalls Zonen mit mediter­ranem Klima auf: Kalifornien, Chile, Südwestaustrali­en und Südafrika (Abbildung 7.2). Diese anderen Re­gionen waren aber nicht nur keine frühen Stätten der Landwirtschaft, sondern zählten überhaupt nicht zu den Orten, an denen sie unabhängig entstand. Was unter­schied jene mediterrane Klimazone im Westen Eurasi­ens von allen anderen?

    Abbildung 7.2 Die mediterranen Klimazonen der Welt
    Wie sich herausstellt, hatte sie, und insbesondere ihr vorderasiatischer Teil, mindestens fünf Vorteile gegen­über anderen mediterranen Klimazonen. Erstens be­sitzt das westliche Eurasien bei weitem die größte Zone mit mediterranem Klima und weist deshalb eine viel größere pflanzliche und tierische Artenvielfalt auf als die vergleichsweise winzigen mediterranen Klimazo­nen Südwestaustraliens und Chiles. Zweitens sind die Klimaverhältnisse in Vorderasien von allen mediterra­nen Klimazonen am extremsten, mit starken Schwan­kungen zwischen den Jahreszeiten, aber auch von Jahr zu Jahr. Diese Schwankungen begünstigten die Evolu­tion einjähriger

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