Arm und Reich
statt ganz von vorne anzufangen und einen weniger nützlichen wildwachsenden Verwandten zu domestizieren. Beweise dafür, daß nur eine Domestikation vorlag, lassen somit den Schluß zu, daß eine neu domestizierte Anbaupflanze rasch in andere Teile ihres Verbreitungsgebiets gelangte und somit weitere unabhängige Domestikationen der gleichen Pflanze überflüssig machte. Gibt es jedoch Anzeichen dafür, daß die gleiche wildwach sende Ahnenpflanze in verschiedenen Gebieten eigenständig domestiziert wurde, können wir daraus schließen, daß sich die betreffende Kulturpflanze zu langsam ausbreitete, um einer Domestikation an anderen Orten vorzubeugen. Die Indizien dafür, daß in Vorderasien in erster Linie Einzel-, in Nord- und Südamerika jedoch wiederholt Mehrfachdomestikationen stattfanden, zeigen somit, daß die Ausbreitung von Kulturpflanzen in Vorderasien auf weniger Hindernisse stieß als in Nord- und Südamerika.
Die rasche Ausbreitung einer Kulturpflanze beugt möglicherweise nicht nur der Domestikation der gleichen wildwachsenden Ahnenpflanze an anderen Orten vor, sondern auch der Domestikation verwandter Arten. Ein Bauer beispielsweise, der ertragreiche Erbsen anbaut, hat natürlich keinen Grund, bei Null anzufangen und die gleiche Ahnenerbse erneut zu domestizieren. Genauso sinnlos wäre es, eng verwandte Arten zu domestizieren, wenn sich das Resultat von den bereits domestizierten Erbsensorten kaum unterscheiden würde. Sämtliche Gründerpflanzen Vorderasiens kamen im gesamten westlichen Eurasien der Domestikation ihrer engen Verwandten zuvor. Aus der Neuen Welt sind dagegen zahlreiche Fälle bekannt, in denen eng verwandte, aber doch unterschiedliche Arten in Meso- und Südamerika domestiziert wurden. So gehören beispielsweise 95 Prozent der heute weltweit angebauten Baumwolle zu der Sorte Gossypium hirsutum , die in vorgeschichtlicher Zeit in Mesoamerika domestiziert wurde. Auf den Feldern prähistorischer südamerikanischer Acker bauern wuchs jedoch Baumwolle der verwandten Art Gossypium barbadense . Offenbar war es für die Baumwolle aus Mesoamerika so schwer, nach Südamerika zu gelangen, daß sie die Domestikation einer anderen Baumwollsorte dort in vorgeschichtlicher Zeit nicht verhindern konnte (und umgekehrt). Paprikas, Kürbisse und Fuchsschwanzgewächse sind weitere Beispiele für Anbaupflanzen, bei denen verschiedene verwandte Arten in Meso- und Südamerika domestiziert wurden, ohne daß sich eine Art schnell genug ausbreiten und der Domestikation der anderen zuvorkommen konnte.
Wir haben es also mit vielen verschiedenen Phänomenen zu tun, die alle darauf hindeuten, daß sich die Landwirtschaft von Vorderasien aus schneller verbreitete als innerhalb Nord- und Südamerikas, möglicherweise auch schneller als in Afrika südlich der Sahara. Diese Phänomene waren im einzelnen: die Tatsache, daß die Landwirtschaft in eine Reihe von Regionen mit günstigen Umweltbedingungen nicht vordrang, Unterschiede in Tempo und Selektivität der Ausbreitung der Landwirtschaft sowie Unterschiede darin, ob die ältesten domestizierten Anbaupflanzen der erneuten Domestikation der gleichen beziehungsweise eng verwandter Arten zuvorkamen. Woran lag es, daß die Ausbreitung der Landwirtschaft in Nord- und Südamerika und in Afrika auf viel größere Schwierigkeiten stieß als in Eurasien?
Zur Beantwortung dieser Frage wollen wir zunächst die rasche Ausbreitung der Landwirtschaft von ihrem Entstehungsgebiet im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds näher untersuchen. Schon bald nach dem Aufkommen der Landwirtschaft in dieser Region um 8000 v. Chr. wurde eine Welle in Bewegung gesetzt, die sie in immer weiter entfernte Teile des westlichen Eurasien und Nordafrikas trug. Ich habe eine interessante Karte (Abbildung 9.2) wiedergegeben, die von dem Genetiker Daniel Zohary und der Botanikerin Maria Hopf erstellt wurde, um zu verdeutlichen, wie die Welle um 6500 v. Chr. Griechenland, Zypern und den indischen Subkontinent, kurz nach 6000 v. Chr. Ägypten, bis 5400 v. Chr. Mitteleuropa, bis 5200 v. Chr. Südspanien und um 3500 v. Chr. Großbritannien erreichte. In jeder dieser Regionen waren an der Entstehung der Landwirtschaft mehrere der domestizierten Pflanzen und Tiere beteiligt, die auch in Vorderasien eine maßgebende Rolle gespielt hatten. Auch südwärts bis nach Äthiopien drangen vorderasiatische Anbaupflanzen und Haustiere vor; der
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