Arm und Reich
genaue Zeitpunkt ist jedoch noch nicht bekannt. In Äthiopien wurden allerdings auch zahlreiche heimische Pflanzen domestiziert, so daß wir noch nicht wissen, ob die dortige Landwirtschaft durch eigene Gewächse oder fremde Ankömmlinge aus der Taufe gehoben wurde.
Abbildung 9.2 Die Symbole markieren Fundstätten von Überresten vorderasiatischer Kulturpflanzen, die mit Hilfe der Radiokarbon-Methode datiert wurden. D = Fruchtbarer Halbmond (älter als 7000 v. Chr.). Beachten Sie bitte, daß die Datierungen mit zunehmender Entfernung vom Bereich des Fruchtbaren Halbmonds immer jünger werden. Die Karte basiert auf Karte 20 von Zohary und Hopf in »Domestication of Plants in the Old World«, wobei die unkalibrierten Radiokarbon-Datierungen, die Zoharyund Hopf verwendeten, durch kalibrierte ersetzt wurden.
Natürlich gelangten nicht alle Elemente des vorderasiatischen Bündels in jede der entfernteren Regionen. So war es in Ägypten für Einkornweizen zu heiß. Zudem trafen in einigen Regionen verschiedene Elemente des Bündels zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein. Beispielsweise waren Schafe in Südwesteuropa früher verbreitet als Getreide. In einigen Regionen wurden zusätzlich lokale Pflanzenarten domestiziert, wie Mohn in Westeuropa und, so wird vermutet, Wassermelonen in Ägypten. Die Hauptrolle spielten in all diesen Regionen jedoch zunächst Pflanzen und Tiere aus Vorderasien. Ihnen folgten binnen relativ kurzer Zeit weitere Innovationen, deren Ursprung ebenfalls in Vorderasien oder benachbarten Regionen lag. Darunter waren das Rad, die Schrift, Techniken zur Metallverarbeitung, die Melkkunst, Obstbäume sowie die Bier- und Weinerzeugung.
Warum war im gesamten westlichen Eurasien das gleiche Pflanzenbündel an der Entstehung der Landwirtschaft beteiligt? Lag der Grund darin, daß in vielen Gebieten die gleiche Kombination von Pflanzen natürlich vorgefunden und genau wie im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds für nützlich befunden und eigenständig domestiziert wurde? Sicher nicht. Erstens kommen die meisten Gründerpflanzen Vorderasiens außerhalb dieser Region gar nicht vor. So ist keine der acht wichtigsten Gründerpflanzen mit Ausnahme der Gerste in Ägypten heimisch. Das Niltal weist in ökologischer Hinsicht starke Ähnlichkeit mit den Tälern von Euphrat und Tigris in Vorderasien auf. Deshalb war die Kombination von Pflanzen und Tieren, die im Zweistromland so erfolgreich war, auch für das Niltal gut genug geeignet, um als Auslöser des Aufstiegs der ägyptischen Kultur zu Macht und Glanz zu dienen. Die dafür benötigten Nahrungsmittel fehlten in Ägypten jedoch ursprünglich. Sphinx und Pyramiden wurden von Menschen errichtet, die sich von Anbaupflanzen ernährten, deren Heimat nicht Ägypten, sondern Vorderasien war.
Zweitens können wir selbst bei solchen Anbaupflanzen, deren wildwachsende Vorfahren auch außerhalb Vorderasiens vorkommen, darauf vertrauen, daß die meisten dieser Gewächse, die in Europa und Indien angebaut werden, aus Vorderasien stammten und nicht das Ergebnis örtlicher Domestikationen waren. Wilder Flachs beispiels weise ist im Westen bis nach Großbritannien und Algerien und im Osten bis zum Kaspischen Meer verbreitet, während wilde Gerste sogar noch in Tibet anzutreffen ist. Bei den meisten Gründerpflanzen aus Vorderasien finden wir jedoch bei allen heute kultivierten Varietäten von den vielen Chromosomenanordnungen, die bei den wildwachsenden Vorfahren auftreten, nur eine einzige; oder sie haben nur eine einzige Mutation (von den vielen möglichen) gemeinsam, durch die sich die kultivierten Varietäten von den wildwachsenden Vorfahren in für uns nützlicher Weise unterscheiden. So weisen alle kultivierten Erbsen das gleiche rezessive Gen auf, das verhindert, daß reife Schoten nicht, wie bei Wilderbsen, spontan aufspringen und ihren Inhalt auf die Erde werfen.
Offensichtlich wurden die meisten Gründerpflanzen aus Vorderasien nach ihrer anfänglichen Domestikation nie anderswo erneut domestiziert. Wäre es anders gewesen, so hätte dies Spuren in Form unterschiedlich angeordneter Chromosomen oder verschiedener Mutationen hinterlassen. Wir haben es demnach mit typischen Beispielen für das oben erwähnte Phänomen der »präventiven Domestikation« zu tun. Die rasche Ausbreitung des Bündels von Anbaupflanzen und Haustieren aus dem Bereich des Fruchtbaren Halbmonds kam möglichen
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