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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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und bekämpfen jeden Artgenos­sen, der in die Nähe kommt. Dies gilt für die meisten Hirsch- und Antilopenarten (wiederum mit Ausnahme des Rentiers) und ist einer der Hauptgründe dafür, daß keine der vielen in Herden lebenden Antilopenarten, für die Afrika so berühmt ist, domestiziert werden konnte. Bei afrikanischen Antilopen denkt man vielleicht zuerst an »endlose Herden, so weit das Auge reicht«. Während der Brunst suchen sich die Männchen jedoch eigene Re­viere, die sie gegen jeden Rivalen heftig verteidigen. Aus diesem Grund können Antilopen nicht in großer Zahl zusammengesperrt werden, wie es sich Schafe, Ziegen und Rinder klaglos gefallen lassen. Bei Nashörnern ge­sellen sich zum Territorialverhalten noch Aggressivität und langsames Wachstum als weitere Gründe, die ih­nen den Platz im Stall verwehren.
    Vielen Herdentieren, so auch den meisten Hirsch- und Antilopenarten, mangelt es schließlich an einer ausge­prägten Dominanzordnung. Ihnen fehlt auch die in­stinktive Veranlagung zur Prägung auf einen ranghöhe­ren Anführer (als Voraussetzung für die »Fehlprägung« auf einen Menschen). Deshalb konnten zwar zahlreiche einzelne Rehe und Antilopen gezähmt werden (Bambi läßt grüßen), doch es gelang nie, sie in Herden zu hal­ten, wie etwa Schafe. An diesem Problem scheiterte auch die Domestikation des nordamerikanischen Dickhorn­schafs, das zur gleichen Gattung gehört wie das asiati­sche Mufflon, der Vorfahre unseres Hausschafs. Dick­hornschafe haben zahlreiche für den Menschen nützliche Eigenschaften und ähneln Mufflons in vieler Hinsicht, mit einer entscheidenden Ausnahme: Ihnen fehlt die ste­reotype Verhaltensweise, daß sie sich einer Rangord­nung unterwerfen.
    Ich will nun auf das Paradoxon vom Beginn dieses Ka­pitels zurückkommen. Bei der Beschäftigung mit der Domestikation von Tieren steht man zunächst vor ei­nem Rätsel, wenn man zu erklären versucht, warum ei­nige Arten scheinbar willkürlich domestiziert wurden, ihre engen Verwandten jedoch nicht. Wie sich bei nähe­rer Untersuchung zeigt, hat das Anna-Karenina-Prinzip viel damit zu tun, warum alle bis auf eine kleine Zahl von Kandidaten aus dem Rennen schieden. Mensch und Tier – diese Kombination ergibt bei den allermei­sten Arten eine unglückliche Ehe, und zwar aus jeweils einem oder mehreren von vielen möglichen Gründen. Hierzu zählen Ernährungsgewohnheiten, Wachstum­stempo, Paarungsverhalten, Temperament, Neigung zu Panik sowie mehrere spezifische Merkmale des sozi­alen Zusammenlebens. Nur ein kleiner Prozentsatz al­ler Säugetierarten fuhr in den »Hafen der Ehe« mit dem Menschen ein. Als Voraussetzung mußten beide Part­ner in jedem einzelnen Aspekt gut miteinander harmo­nieren.
    Den Völkern Eurasiens wurde eine wesentlich größere Zahl pflanzenfressender Säugetiere, die sich zur Dome­stikation eigneten, in die Wiege gelegt als den Völkern der anderen Kontinente. Dieses Faktum, das von immen­ser Tragweite für den weiteren Verlauf der Geschichte war, hat drei grundlegende geographische, historische und biologische Ursachen: Erstens besaß Eurasien ent­sprechend seiner großen Landmasse und ökologischen Vielfalt von vornherein die meisten Kandidaten. Zwei­tens verloren Australien, Nord- und Südamerika, nicht aber Eurasien und Afrika, die meisten ihrer Domesti­kationskandidaten in einer gewaltigen Welle des Arten­sterbens, die sich gegen Ende des Pleistozäns ereignete und die möglicherweise dadurch ausgelöst wurde, daß die zuerst genannten Kontinente die Bekanntschaft des Menschen relativ plötzlich und spät in der Evolutions­geschichte machten, als wir bereits beachtliche Jagdfer­tigkeiten besaßen. Und schließlich war in Eurasien ein höherer Prozentsatz der überlebenden Kandidaten als auf den anderen Kontinenten zur Domestikation geeig­net. Die nähere Untersuchung jener grundsätzlich in Frage kommenden Arten, die nicht domestiziert wur­den, wie beispielsweise die großen afrikanischen Her­dentiere, zeigt uns im einzelnen, woran die Domestika­tion scheiterte. Sicher hätte Tolstoi der Erkenntnis zu­gestimmt, die ein früherer Autor, der heilige Matthäus, in anderem Zusammenhang verkündete: »Viele werden gerufen, doch nur wenige werden auserwählt.«

KAPITEL  9
Achsen und das Rad der Geschichte
Warum die Ausbreitung der Landwirtschaft auf verschiedenen Kontinenten in unterschiedlichem Tempoverlief
    V ergleichen Sie auf der Weltkarte (Abbildung 9.1) einmal

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