Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
glauben, daß es Selbstmord gewesen sein soll, obwohl alle das sagen.«
»Draußen zwischen den Ruinen versucht man, nicht daran zu denken. Es gibt einfach zu viele Geister dort. Warst du jemals im Ring?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist wirklich gespenstisch, Ione. Wirklich, die Leute lachen darüber, aber manchmal kriecht es aus den Schatten und kommt über dich, wenn du nicht auf der Hut bist. Und dort draußen gibt es eine Menge Schatten. Manchmal denke ich, der ganze Ring besteht aus nichts anderem.«
»Ist das der Grund, aus dem du von Tranquility weg willst?«
»Nein, nicht wirklich. Es hat mehr mit Stolz zu tun. Ich möchte die Lady Macbeth wieder raumtüchtig sehen. Sie wurde bei dem Rettungsversuch sehr schwer beschädigt. Mein Vater hat uns nur mit Mühe und Not lebendig nach Tranquility zurückgebracht. Das alte Mädchen hat sich eine neue Chance verdient. Ich würde es niemals über mich bringen, die Lady Macbeth zu verkaufen. Das ist der Grund, aus dem ich mit dem Schatzsuchen angefangen habe, trotz der Risiken. Ich wünschte nur, mein Vater wäre noch am Leben, damit er es sehen könnte.«
»Eine Rettungsmission?« Sie saugte fasziniert die Unterlippe ein. Es war eine reizende Geste, die sie noch jünger wirken ließ.
Dominique war nirgendwo zu sehen. Die Musik war inzwischen fast schmerzhaft laut, und die Band kam gerade erst in Fahrt. Ione war eindeutig fasziniert von seiner Geschichte … von ihm. Vielleicht konnten sie ein Schlafzimmer finden und ein paar Stunden damit verbringen, sich gegenseitig das Gehirn aus dem Schädel zu ficken. Es war noch früh am Abend, und die Party würde noch mindestens fünf oder sechs Stunden lang weitergehen. Er konnte immer noch rechtzeitig wieder zurück sein, um die Nacht mit Dominique zu verbringen.
Meine Güte! Was für eine geniale Art zu feiern!
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte er und deutete in die Runde. »Komm, wir suchen uns einen Platz, wo es etwas leiser ist.«
Sie nickte eifrig … »Ich weiß auch schon wo.«
Die Fahrt im Röhrenzug war nicht genau das, was Joshua vorgeschwebt hatte. Das Haus am See verfügte über reichlich freie Schlafzimmer, zu denen er Zugang besaß. Doch Ione war überraschend bestimmt gewesen, und Joshua hatte ein flüchtiges Gefühl von Stahl in ihrer Persönlichkeit gespürt, als sie sagte: »Mein Appartement ist das ruhigste in ganz Tranquility. Du kannst mir alles dort erzählen, und niemand kann uns belauschen.« Sie unterbrach sich, und ihre Augen musterten ihn spöttisch. »Oder unterbrechen.«
Damit war es entschieden.
Sie nahmen den Waggon aus der kleinen U-Bahn-Station, der allen Anwohnern am See gleichermaßen diente. Die Röhrenzüge waren ein mechanisches System, genau wie die Aufzüge in den Sternenkratzern, die erst eingebaut worden waren, nachdem Tranquility seine volle Größe erreicht hatte. BiTek war eine ans Wunderbare grenzende Technologie, aber selbst ihr waren Grenzen gesetzt. Interne Transportmittel lagen außerhalb der gentechnologischen Möglichkeiten. Die Röhren bildeten ein Netzwerk durch den gesamten Zylinder und sorgten für Zutritt zu sämtlichen Sektionen des Innenraums. Die Waggons verkehrten nach Bedarf und standen jedermann zu Verfügung.
Sie brachten ihre Passagiere zu jeder gewünschten Station. Das gesamte System wurde von der Habitat-Persönlichkeit gesteuert, die in jeder einzelnen Station über Prozessorblöcke verfügte. Auf ganz Tranquility gab es keine privaten Verkehrsmittel, und jedermann vom Milliardär bis hin zum einfachsten Raumhafenarbeiter war auf die Röhrenwaggons angewiesen, um sich durch das Habitat zu bewegen.
Joshua und Ione stiegen in einen wartenden Zehnsitzer ein und nahmen einander gegenüber Platz. Nachdem Ione das Kommando erteilt hatte, setzte sich der Waggon unverzüglich in Bewegung und beschleunigte sanft. Joshua bot ihr einen Schluck aus einer frisch geöffneten Flasche Norfolk Tears an, die er aus Parris Vasilkovskys Bar hatte mitgehen lassen, und während er mit den Augen die Kurven ihrer Beine unter dem hauchdünnen Sarong streichelte, erzählte er ihr die Geschichte von der Rettungsmission.
Da war ein Forschungsraumschiff in einem Orbit um einen Gasriesen, erzählte er, dessen Lebenserhaltungssystem durchgebrannt war. Sein Vater hatte die fünfundzwanzig Mann starke Besatzung geborgen und dadurch das eigene Lebenserhaltungssystem der Lady Macbeth gefährlich stark überlastet. Und weil mehrere schwer verletzte Mitglieder der
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