Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
ihre Nackenhaare aufrichteten. Plötzlich fror sie trotz der Schwüle des Dschungels.
»Ich hab’ dir deine Schlafsachen hingelegt«, grinste Gail.
»Schlafsachen?«
»Sehr hübsch, wirklich. Ich hab’ die Spitzen selbst geklöppelt. Lennie mag es, wenn seine Bräute Rüschen tragen. Du findest keine schöneren außerhalb von Durringham«, fügte sie großzügig hinzu. »Das T-Shirt ist schön und gut, aber es betont ja wohl kaum deine Figur, oder?«
»Ich habe Ihnen Geld bezahlt«, wehrte sich Marie mit schwacher Stimme. »Für den ganzen Weg bis hinunter nach Durringham.«
»Das reicht längst nicht, um unsere Kosten zu decken, Süße. Wir haben dich gleich gewarnt! Es ist sehr kostspielig, über diesen Fluß zu reisen. Du mußt für deine Passage arbeiten.«
»Nein!«
Plötzlich war nichts mehr vom wichtigtuerischen Gehabe der dicken Frau zu spüren. »Wir können dich auch an Land setzen. Gleich hier.«
Marie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht.«
»Sicher kannst du. So ein hübsches Ding wie du.« Gail schlang eine fette Hand um Maries Unterarm. »Komm schon, Süße«, gurrte sie. »Der alte Lennie weiß, wie er seine Bräute behandeln muß.«
Marie trat einen Schritt vor.
»Na also, Süße. Es geht doch. Komm mit, ich habe alles bereitgelegt, sieh nur.«
Auf dem Tisch in der Kombüse lag ein weißes Baumwollneglige. Gail führte Marie hin. »Du ziehst dir dieses Nachthemd an. Und hör auf zu jammern, du könntest nicht.« Sie hielt Marie das Neglige hin. »Wunderbar! Du wirst darin aussehen wie die Unschuld in Person, meine Süße.«
Marie starrte wie betäubt auf das Nachthemd.
»Oder nicht?« hakte Gail nach.
»Ja.«
»Gutes Mädchen. Und jetzt zieh es an.«
»Wo?«
»Hier, Süße. Gleich hier an Ort und Stelle.«
Marie wandte der fetten Frau den Rücken zu und machte Anstalten, ihr T-Shirt über den Kopf zu ziehen.
Gail kicherte mit schwerer Zunge. »Du bist mir vielleicht eine, meine Süße. Also wirklich. Das wird noch lustig.«
Der Saum des Negliges reichte Marie kaum über die Pobacken. Sie versuchte es weiter herabzuziehen, doch ihre Brüste drohten aus dem tiefen Ausschnitt zu fallen. Sie hatte sich sauberer gefühlt, als sie noch vom Schmutz des Dschungels gestarrt hatte.
Gail kicherte noch immer, als sie Marie mit kleinen Stößen im Rücken in die Kabine führte, wo Len in einem bernsteinfarbenen Frotteebademantel wartete. Eine einzelne elektrische Glühbirne an der Decke erzeugte ein schwaches gelbliches Licht. Lens Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen, als er genüßlich den Anblick Maries in sich aufnahm.
Gail ließ sich auf einem stabilen Hocker neben der Tür nieder und ächzte erleichtert. »Na siehst du, Süße. Mach dir keine Gedanken wegen mir«, sagte sie. »Ich sehe immer dabei zu.«
Marie hoffte, daß die nahen Holzwände und das Plätschern des Wassers ihr vielleicht die Illusion vermitteln könnten, daß sie zurück an Bord der Swithland und mit Karl zusammen war.
Doch es funktionierte nicht.
Das Ly-Cilph hatte seit mehr als fünf Milliarden Jahren das Universum durchstreift, als es die Galaxis erreichte, in der die Konföderation zu Hause war … obwohl zu diesem Zeitpunkt noch Dinosaurier die beherrschende Lebensform der Erde darstellten.
Die halbe Zeit seiner Existenz hatte das Ly-Cilph damit verbracht, den intergalaktischen Raum zu durchwandern. Es wußte, wie man in Wurmloch-Zwischenräume schlüpfte; es war ein Wesen aus Energie, und die physikalische Struktur des Kosmos war ihm kein Geheimnis. Doch seine Natur war das Beobachten und das Aufzeichnen, und so bewegte es sich mit einer Geschwindigkeit dicht unterhalb der des Lichts und erstreckte sein immaterielles Wahrnehmungsfeld auf die verirrten Wasserstoffatome und begleitete sie auf ihrem äonenlangen Sturz den hellen, weit entfernten Sternenwirbeln entgegen. Jeder einzelne Wirbel war einzigartig, eine kostbare Existenz, die das Wissen erweiterte, und seine Geschichte wurde in dem transdimensionalen Speichergerüst verankert, die dem Ly-Cilph seinen Identitätsfokus verlieh. Das Ly-Cilph war ein Stück Raum, den ein einzelnes Wasserstoffatom mit weniger Widerstand passieren konnte als ein Neutrino. Wie ein Schwarzes Quantenloch besaß es fast keinerlei physikalische Ausdehnung, und doch ruhte ein ganzes Universum in ihm. Ein sorgfältig geordnetes Universum aus reinen Daten.
Nachdem das Ly-Cilph am Rand des Sternenwirbels angekommen war, verbrachte es weitere Millionen Jahre damit,
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