Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
befahl ihm, sich einen freien Sitzplatz zu suchen. Quinn fand eine Gruppe von vielleicht zwanzig Leuten ganz hinten in der letzten Sektion, größtenteils Jungen kaum über zwanzig, alle im gleichen schiefergrauen Overall, den man auch ihm gegeben hatte. Auf den Kragen stand in auffälliger Farbe ZD zu lesen. Überschüssige Bevölkerung von daheim. Quinn erkannte ihre Sorte auf den ersten Blick. Es war, als blickte er in einen Spiegel, der seine eigene Vergangenheit reflektierte. Quinn vor einem Jahr, bevor er sich der Bruderschaft angeschlossen hatte. Bevor sein Leben einen Sinn bekommen hatte.
Er näherte sich der Gruppe und legte die Finger wie beiläufig zum Zeichen des umgedrehten Kreuzes zusammen. Keiner von ihnen reagierte. Auch gut. Quinn schnallte sich neben einem Mann mit bleichem Gesicht und kurzgeschorenem rötlichem Haar in den Sitz.
»Jackson Gael«, sagte sein Nachbar.
Quinn nickte benommen und murmelte seinen eigenen Namen. Jackson Gael sah aus wie neunzehn oder zwanzig, und er besaß den schlanken, durchtrainierten Körper und die verächtliche Aura, die ihn als Straßenkämpfer verrieten. Ein harter, unkomplizierter Bursche. Quinn fragte sich, was der Bursche angestellt hatte, um deportiert zu werden.
Die Maschinen erwachten zum Leben, und der Pilot verkündete, daß sie in drei Minuten ablegen würden. Ein Chor von Hochrufen und Jubel antwortete: Kolonisten in den vorderen Sitzreihen. Irgend jemand fing an, auf einem Mini-Synth zu spielen, und die fröhliche Melodie zerrte an Quinns Nerven.
»Irre«, sagte Jackson Gael. »Alles Irre. Sieh sie dir an, sie freuen sich darauf, endlich zu landen! Wahrscheinlich glauben sie tatsächlich an diesen Mist von wegen neuer Grenzen, den die Entwicklungsgesellschaften ihnen aufgetischt haben. Und wir müssen den Rest unseres Lebens mit diesen Trotteln verbringen!«
»Ich nicht«, entgegnete Quinn automatisch.
»Ach ja?« Jackson grinste. »Wenn du reich bist, wieso hast du dann nicht den Kapitän bestochen, damit er dich auf Kulu oder New California absetzt?«
»Ich bin nicht reich. Aber ich bleibe trotzdem nicht hier.«
»Ja, sicher. Wenn du deine Zwangsarbeit abgeleistet hast, machst du Karriere als fliegender Händler. Ich glaube dir. Ich für meinen Teil halte mich schön bedeckt. Vielleicht gelingt es mir, auf eine Farm abgestellt zu werden.« Er zwinkerte. »Auf diesem Schiff sind ein paar verdammt gut aussehende Töchter. Sie werden sich dort draußen in ihren kleinen Heimstätten in der Wildnis bald ziemlich einsam fühlen. Nach einer Weile sehen sie Menschen wie dich und mich in einem besseren Licht. Und falls es dir bis jetzt noch nicht aufgefallen ist – es gibt nicht viele Frauen unter uns Zettdees.«
Quinn starrte ihn verständnislos an. »Zwangsarbeit?«
»Ja, Zwangsarbeit. Deine Strafe, Mann. Hast du vielleicht geglaubt, sie würden uns freilassen, wenn wir gelandet sind?«
»Sie haben mir nichts von Zwangsarbeit gesagt!« entgegnete Quinn. Er spürte, wie sich in seinem Innern die Verzweiflung ausbreitete wie ein klaffender schwarzer Spalt. Erst jetzt dämmerte ihm nach und nach, wie wenig er in all den Jahren von der Welt draußen vor der Arkologie gewußt hatte.
»Mann, du mußt ja wirklich jemandem ziemlich auf die Füße getreten sein«, sagte Jackson. »Bist du vielleicht von einem Politico abgeschoben worden?«
»Nein.« Kein Politiker, sondern viel schlimmer. Und unendlich subtiler. Er beobachtete, wie die letzte Kolonistenfamilie aus der Luftschleuse trat, die Leute mit dem verängstigten vierjährigen Mädchen. Es hatte die Arme eng um den Hals des Vaters geschlungen, und es weinte noch immer. »Und wie sieht unsere Zwangsarbeit genau aus?« fragte er.
»Nun ja, sobald wir gelandet sind, warten erst einmal zehn Jahre harter körperlicher Arbeit auf dich, mich und die anderen Zwangsdeppen hier. Verstehst du, die Lalonde-Entwicklungsgesellschaft hat für unseren Transport hierher bezahlt, und jetzt wollen sie an dieser Investition verdienen. Also verbringen wir die besten Jahre unseres Lebens damit, für diese dämlichen Kolonisten Scheiße zu schaufeln. Gemeinnützige Arbeiten nennen sie das. Aber genaugenommen sind wir nicht mehr als eine Bande von verurteilten Gesetzesbrechern, Quinn. Wir bauen Straßen, roden Bäume, graben Latrinen. Alles, was dir so einfällt, jeder dreckige Job, den irgendein Kolonist von dir erwartet. Wir erledigen das. Wir arbeiten, wenn man es uns befiehlt, essen, was für uns übrigbleibt,
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