Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
sollen. So habe ich es auch gemacht. Im Passagekontrakt steht ausdrücklich, daß man zwanzig Kilo Gepäck mit in seine Kapsel nehmen darf.«
»Die Kirche hat meine Passage arrangiert«, entgegnete Horst vorsichtig. Er konnte spüren, daß Ruth das Zeug dazu hatte, in dieser neuen, fordernden Welt zu überleben, doch sie würde lernen müssen, ihr etwas harsches, söldnermäßiges Benehmen zu zügeln, sonst sah er sich im Geiste schon bei dem Versuch, einen aufgebrachten Lynchmob zu beruhigen. Er unterdrückte ein Grinsen. Das wäre endlich einmal ein richtiger Test meiner Fähigkeiten.
»Wissen Sie, was Ihr Problem ist, Vater?« fragte Ruth in diesem Augenblick. »Sie sind einfach viel zu vertrauensselig.«
Ganz im Gegenteil, dachte Horst. Ich besitze nicht annähernd genug Vertrauen. Genau aus diesem Grund bin ich hier, im entferntesten Teil des menschlichen Reiches, wo ich am wenigsten Schaden anrichten kann, wenn überhaupt. Obwohl der Bischof natürlich viel zu freundlich war, um das laut auszusprechen …
»Was haben Sie vor, nachdem wir unseren Zielort erreicht haben?« erkundigte er sich. »Landwirtschaft? Oder fischen im Juliffe?«
»Wohl kaum! Wir können uns selbst versorgen, wenn Sie das meinen – ich habe genügend Samen mitgebracht. Aber ich bin eine qualifizierte Didaktik-Assessorin.« Sie grinste spitzbübisch. »Ich werde schätzungsweise die neue Dorfschullehrerin. Wahrscheinlich die Lehrerin für den gesamten Landstrich, wenn ich bedenke, wie dünn diese Welt besiedelt ist. Ich verfüge über einen Laserpräger, und ich habe jeden nur denkbaren handwerklichen Ausbildungskurs hier drin gespeichert.« Sie klopfte auf ihren Rucksack. »Genau das Richtige für Jay und mich. Sie glauben ja gar nicht, was man plötzlich alles wissen muß, wenn man mitten in der Wildnis ausgesetzt wird.«
»Ich schätze, da haben Sie recht«, gestand er ohne große Begeisterung. Ging es den anderen Kolonisten vielleicht auch wie ihm? Verspürten auch sie den subtilen Anflug von Zweifel, jetzt, wo sie der erschreckenden Wirklichkeit von Lalondes Wildnis gegenüberstanden? Er musterte die Menschen in der näheren Umgebung. Sie alle trotteten lethargisch über die Schotterstraße. Eine üppige junge Frau kam vorbei, mit gesenktem Kopf und mißmutig zusammengepreßten Lippen. Ihr Bordoberteil war um die Hüften geschlungen, und darunter trug sie ein orangefarbenes T-Shirt mit weit ausgeschnittenem Hals, das reichlich nackte Haut enthüllte, bedeckt von Staub und Schweiß. Eine stille Märtyrerin, erkannte Horst. Er hatte diesen Menschenschlag oft genug gesehen, wenn er sich mit den Flüchtlingen daheim in der Arkologie beschäftigt hatte. Keiner der Männer in der Nähe schenkte ihr auch nur die geringste Beachtung.
»Darauf können Sie wetten, Vater!« dröhnte Ruth unerschütterlich. »Nehmen Sie nur Schuhe als Beispiel. Sie haben wahrscheinlich zwei oder drei Paar mitgebracht, oder nicht?«
»Zwei Paar Stiefel, ja.«
»Sehr schlau. Aber Ihre Stiefel werden im Dschungel keine fünf Jahre halten, ganz gleich, aus welchem phantastischen Material sie bestehen mögen. Und anschließend müssen Sie sich Ihre eigenen Schuhe machen. Und dazu kommen Sie zu mir, in einen Kurs über Schusterei.«
»Ich verstehe. Sie haben sich das alles schon vorher ausgedacht, nicht wahr?«
»Sonst wäre ich jetzt nicht hier, Vater.«
Jay lächelte voll strahlender Bewunderung zu ihrer Mutter hinauf. »Ist denn ein Laserpräger nicht viel zu schwer, um ihn die ganze Zeit mit sich herumzutragen?« erkundigte sich Horst neugierig.
Ruth brach in schallendes Gelächter aus und fuhr sich in einer theatralischen Geste mit dem Handrücken über die Stirn. »Sicher ist er das. Aber er ist wertvoll. Ganz besonders die neuesten technischen Kurse. Dinge, von denen dieser Planet noch niemals etwas gehört hat! Ich denke nicht daran, das alles am Raumhafen in den Händen der Bodenmannschaft zurückzulassen! Ganz bestimmt nicht, was auch geschieht!«
Ein alarmiertes Frösteln durchfuhr Horst. »Sie glauben doch wohl nicht …?«
»Ich bin im Gegenteil sogar verdammt sicher, Vater. Ich würde das gleiche tun.«
»Und warum haben Sie am Raumhafen kein Wort darüber verloren?« wollte er entrüstet wissen. »Ich habe Medizin in meinem Container, Lesefibeln, Meßwein und lauter ähnliche Dinge! Ein paar von uns hätten zurückbleiben und auf die Sachen achten können!«
»Hören Sie, Vater! Ich habe nicht vor, mich zum Sprecher dieser Gruppe
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