Armageddon 06 - Der nackte Gott
nur ein Rad an meinem Wagen zu ersetzen. Ein gebrochenes Rad, ein Steinbrocken, der sich im Schlamm verbirgt, und meine Freiheit ist dahin. Die Felge wird aus Tythorn gemacht, ich könnte also ein neues Stück sägen und einpassen, wenn mir ein Mißgeschick unterläuft. Aber die Lager und die Federspeichen werden in deinen Fabriken hergestellt. Wir brauchen sie, weil es keine vernünftigen Straßen gibt. Ihr baut keine, nicht wahr, weil ihr wollt, daß alle die Züge benutzen. Wenn die Menschen Autos hätten, würde das die Wirtschaft aus euren Händen nehmen, die gesamte Ökonomie würde euch entgleiten. Ich will erst gar nicht davon anfangen, wieviel ein Pferd wie Olivier in der Anschaffung und im Unterhalt kostet. Da hast du deine Antwort, offen und ehrlich. Ich mache es für Geld, weil ich keine andere Wahl habe. Ich wurde als deine Hure geboren, Grant. Ihr habt jeden auf dieser Welt zu euren Sklaven gemacht. Eure Landbesitzerfreiheiten sind mit unseren Leben erkauft. Du konntest mich haben, weil du gut dafür bezahlt hast. Diese kleine Aufmerksamkeit, die du immer so freundlich zurückgelassen hast, bedeutet für mich, daß ich es nicht so häufig tun mußte. Du bist ein Sachwert, Grant, du und die anderen Landbesitzer. Ihr seid eine Währung, weiter nichts.« Sie stieß ihn hart von sich weg. Er krachte mit dem Hinterkopf gegen die hölzerne Dachrundung des Caravans und stieß einen Schmerzenslaut aus. Als er mit der Hand nach seinem Schädel tastete, klebte Blut an seinen Fingern. Er starrte Carmitha erschrocken an.
»Heil dich selbst«, sagte sie. »Und dann mach, daß du hier raus kommst.«
Für eine Stadt, die jeglichen kommerziellen Flugverkehr untersagte, besaß Nova Kong eine erstaunliche Anzahl von Himmelsbeobachtern. Ihre Aufmerksamkeit war ausnahmslos auf den Apollo-Palast gerichtet. Sie notierten die Bewegungen der Ionenflieger, Flugzeuge und Raumflugzeuge, die in den Höfen des Bauwerks starteten und landeten. Ihre Zahl, die Ankunfts- und Abflugzeiten und die Marke der Maschinen waren ein untrügliches Indiz für die diplomatischen Aktivitäten und das Krisenmanagement der Saldana-Familie. In Kulus Kommunikationsnetz gab es sogar das eine oder andere sehr inoffizielle Bulletin, das sich ausschließlich mit diesem Thema befaßte – sorgfältig durch die ISA überwacht, um sicherzustellen, daß keinerlei illegale aktive Sensoren zum Einsatz kamen.
Mit dem Beginn der Possessionskrise nahm die Aufmerksamkeit der Himmelsbeobachter Dimensionen an, die sonst nur noch von den strategischen Verteidigungssensoren der Stadt erreicht wurden. Zivile Flugzeuge wie die, die von unwichtigeren Ministern und schalkhaften königlichen Verwandten benutzt wurden, waren ganz vom Himmel verschwunden. Allein militärische Maschinen jagten noch zwischen den kunstvollen Rotunden und steinernen Schornsteinen durch den Himmel. Dennoch verrieten die Insignien wenigstens das eine oder andere über die jeweiligen Passagiere und Fracht. Die Bulletins und Klatschspalten wurden von den Himmelsbeobachtern bestens bedient (zusammen mit einigen Beiträgen gezielter Desinformation seitens der ISA).
An diesem besonderen Morgen, als die Stadt unter grauen Wolken versank und Nieselregen auf die Boulevards und Parks niederging, vermerkten die Himmelsbeobachter gewissenhaft die Ankunft von vier Fliegern des königlichen Geschwaders Nummer 585, zusammen mit zwanzig weiteren Landeanflügen anderer Maschinen. Das 585ste war ein Logistik-Geschwader, eine Beschreibung, die weitläufig genug war, um zahlreiche Sünden abzudecken. Als Konsequenz fiel seine Anwesenheit nicht weiter auf.
Ebenso unbemerkt blieb die im Verlauf der vorangehenden dreißig Stunden erfolgte Ankunft von Kriegsschiffen von Oshanko, New Washington, Petersburg, Nanjing und anderen Systemen, die nun in niedrigen äquatorialen Orbits über dem Planeten parkten. Mit ihnen waren Prinz Tokama, Vizepräsident Jim Sanderson, Premierminister Korzhenev und der Stellvertretende Sprecher Ku Rongi eingetroffen. Die Geheimhaltung um die Anwesenheit der hochrangigen Staatsgäste war so extrem, daß nicht einmal der Außenminister Kulus informiert worden war, ganz zu schweigen von den Botschaften der jeweiligen Systeme.
Es blieb allein der Premierministerin Lady Phillipa Oshin überlassen, die Ankömmlinge zu begrüßen, als deren Flieger einer nach dem anderen in einem der inneren Höfe landeten. Sie lächelte mit höflicher Entschlossenheit, während Königliche Marines jeden
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