Armageddon 06 - Der nackte Gott
imstande, die Triebfeder hinter einem derartigen Phänomen zu begreifen. Eine solche Entwicklung erfordert Dutzende von Millennien! Und während dieser ganzen Zeit müssen die sozialen Umstände ihrer Heimatwelt den notwendigen Druck aufrechterhalten, um diese Entwicklung zu begünstigen. Nein, die Geschichte der Tyrathca ist eine einzige monotone Kultur des Konflikts.«
»Ich verstehe trotzdem nicht, wieso sie dadurch zu einer Gefahr werden«, beharrte Liol. »Wenn überhaupt, dann dient diese Tatsache doch höchstens unserem Vorteil. Wir haben den Tyrathca von Hesperi-LN vor mehr als zwei Jahrhunderten den ZTT-Antrieb gegeben, und was haben sie damit gemacht? Sind sie bei der erstbesten Gelegenheit losgeflogen, um ihre lange verschollenen Artgenossen auf den fünf anderen Koloniewelten zu besuchen? Einen Scheiß haben sie getan! Sie haben weitere Koloniewelten für sich selbst gegründet, zum Vorteil ihrer nächsten Verwandten. Sie wollten ihr kleines technologisches Juwel mit niemandem teilen.«
»Sie haben recht«, sagte der große Edenit. »Vorausgesetzt, sie fügen eine Einschränkung hinzu: Bis heute. Wie Monica bereits gesagt hat, hier geht es um das Konzept des Potentials. In wenigstens einer Hinsicht sind die Tyrathca nicht anders als wir. Eine Gefahr von außen einigt sie. Die Weltraumarchen sind mehr als genug Beweis dafür.«
»Aber wir sind keine Bedrohung für die Tyrathca!« Liol schrie beinahe.
»Wir waren keine Bedrohung, bis heute«, sagte Monica. »Bis vor kurzer Zeit wußten die Tyrathca nicht, daß wir zu Elementargeistern werden konnten. Sie waren so beunruhigt angesichts der Tatsache menschlicher Besessener, daß sie augenblicklich jeden Kontakt zur Konföderation abgebrochen haben. Wir sind zu einer Gefahr geworden. Besessene Menschen haben Tyrathca-Siedlungen angegriffen. Unsere bereits jetzt überlegene militärische Technologie wurde um einen nicht einzuschätzenden Faktor erhöht. Vergessen Sie nicht, die Tyrathca unterscheiden nicht zwischen Besessenen und normalen Menschen. Wir sind eine Spezies, die sich plötzlich und dramatisch zum Schlechten hin verändert hat.« Sie deutete auf die Projektion. »Und jetzt wissen wir, was mit Xeno-Spezies geschieht, die mit den Tyrathca in einen Konflikt geraten.«
Liol verstummte. Er verzog das Gesicht, mehr besorgt als wütend, weil er den Streit zu verlieren drohte.
»In Ordnung«, sagte Joshua. »Zugegeben, es gibt ein gewisses Potential für einen Konflikt zwischen den Tyrathca und der Konföderation, vorausgesetzt, wir überleben die Possession. Trotzdem beeinträchtigt das unsere Mission nicht.«
»Die Konföderation muß über diese Entwicklung in Kenntnis gesetzt und gewarnt werden«, sagte Monica. »Wir haben mehr über die Tyrathca herausgefunden als jemals ein Mensch zuvor. Und wegen ihrer Isolationspolitik wird es so bald auch niemand sonst herausfinden. Dieses Wissen ist von beträchtlicher strategischer Bedeutung.«
»Sie wollen nicht ernsthaft vorschlagen, daß wir umkehren?« fragte Joshua.
»Ich stimme Monica zu; die Tyrathca sind ein Faktor, den wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen müssen.«
»Nein, nein«, sagte Joshua. »Sie bauschen diese Geschichte über alle Maßen auf. Sehen Sie, wir befinden uns zweiundvierzig Lichtjahre von Yaroslav entfernt, dem nächsten von Menschen bewohnten System der Konföderation. Die Lady Macbeth müßte einen großen Teil ihres Delta-V vernichten, um sich an die relative Systemgeschwindigkeit anzupassen. Wir würden mehr als einen Tag benötigen, um hinzukommen, und die gleiche Zeit, bis wir wieder hier wären. Außerdem ist Zeit der kritischste Faktor, den wir im Augenblick haben. Wer weiß, was die Besessenen hinter unserem Rücken aushecken? Vielleicht haben sie das Yaroslav-System längst übernommen?«
»Bestimmt nicht die edenitischen Habitate«, entgegnete Monica. »Und ihre Voidhawks könnten unsere Warnung weiterleiten.«
»Die Oenone würde nur einen Tag benötigen, um zum Yaroslav-System und wieder hierher zurück zu fliegen«, sagte Ruben. »Das wäre keine so große Verzögerung.« Er lächelte Syrinx ermutigend zu.
Sie erwiderte sein Lächeln nicht. »Ich möchte nicht, daß wir uns in diesem Stadium aufteilen«, sagte sie. »Außerdem haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, wie die Suche nach dem Schlafenden Gott von hier aus weitergehen soll. Ich denke, wir sollten uns zumindest den Statusbericht von Parker Higgens’ Team anhören, bevor wir derartige
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