Armageddon 06 - Der nackte Gott
kamen. Also … scheiß drauf. Wenn du schon auf jeden Fall von den bösen Toten gefangen, gefoltert oder in deinem eigenen Körper eingesperrt wirst und den Rest der Ewigkeit wie ein Zombie dahinvegetieren mußt, dann kannst du wenigstens eine letzte anständige Party feiern, bevor es soweit ist.
Die Traxjammer hatten ihre alternden Lautsprechertürme aufgebaut, als sich die Dämmerung gesenkt hatte. Sobald die Sonne vom Himmel verschwunden war, hatten hämmernde Rhythmen die Scheiben zum Klirren gebracht und den neuen Herren der Arkologie ihren Trotz entgegengeschleudert. Jeder hatte sich besonders schick gemacht. Das war es, was Andy liebte. Disco-Divas in ihren paillettenbesetzten Mikrokleidern, heiße Funk-Tänzer in Leder und ultraweißen Hemden, Jive-Master in geilen Anzügen. Alle groovten und schwankten in einer riesigen dichten Masse heißer Leiber, und alle machten die gleichen dummen Bewegungen zu den gleichen dummen alten Liedern wie seit Menschengedenken.
Andy wackelte mit den Hüften, winkte mit den Händen und tanzte so ausgelassen wie noch nie zuvor. Unnötig, jetzt noch Hemmungen an den Tag zu legen – es würde kein Morgen geben, an dem die Menschen ihn und seine Koordination auslachen konnten. Er schwankte von den vielen Flaschen, die herumgereicht wurden. Er knutschte mit einer Reihe von Mädchen. Er sang aus voller Kehle mit. Er erfand seine eigenen coolen Bewegungen. Er lachte und jubelte und wollte verdammt noch mal wissen, warum er sein ganzes Leben verschwendet hatte.
Und dann war sie da. Louise. Sie stand vor ihm, die Kleidung naß und zerknittert, und das wunderschöne Gesicht todernst.
Sie hatte sich ihren eigenen Raum inmitten all der überschwenglichen Tänzer geschaffen. Die Menschen wichen ihr instinktiv aus, wußten, daß sie auf keinen Fall Teil ihrer wie auch immer gearteten privaten Hölle werden wollten.
Ihre Lippen öffneten sich, und sie rief ihm etwas Unverständliches zu.
»Was?« brüllte er zurück. Die Musik war unglaublich laut.
Sie bewegte erneut die Lippen: Hilfe.
Er nahm ihre Hand und führte sie über den Hof. Durch den Kreis älterer Menschen am Rand des tanzenden Gedränges, die vergnügt zu den Rhythmen klatschten und ein paar schlurfende Schritte andeuteten. In die Vorhalle mit ihren nackten Ziegelwänden, und die Treppe hinauf in seine Wohnung.
Als sich die Tür hinter ihnen schloß, meinte Andy zu träumen.
Louise war in seiner Wohnung. Louise! Am letzten Abend der Existenz waren sie zusammen.
Seine Fenster zeigten zur Straße hinaus, nicht zum Hof, und so war der Lärm der Musik zu einem konstanten bassigen Wummern gedämpft. Andy griff nach einem Lichtstab; die Energieversorgung war am frühen Morgen ausgefallen.
»Nicht«, sagte Louise.
Ohne funktionierende Klimaanlage hatte sich schwerer Tau auf die Scheiben gelegt, doch es drang genügend Licht herein, um die Umrisse des kleinen Zimmers erkennen zu lassen. Ein Bett in der einen Ecke, die Laken schon seit einiger Zeit nicht mehr gewaschen. Abgesehen von einem Vinyltisch voller elektronischer Werkzeuge bestand das Mobiliar aus Pappkartons. Die Küche befand sich in einer Nische mit einem Vorhang davor.
Andy hoffte inbrünstig, daß sie sich nicht allzu genau umsah. Selbst in diesem Licht war es schmutzig. Seine Freude darüber, sie zu sehen, wurde beträchtlich gedämpft, als die Wirklichkeit seines Lebens ihn wieder einholte.
»Ist das das Badezimmer?« fragte Louise und deutete auf die einzige andere Tür. »Ich bin bis auf die Haut durchnäßt, und mir ist kalt.«
»Ah. Nein, tut mir leid, das ist eigentlich das Schlafzimmer, aber ich habe es mit Zeug vollgestellt. Das Badezimmer ist unten. Warte, ich zeig’s dir.«
»Nein.« Louise trat zu ihm. Sie schlang die Arme um ihn und lehnte ihren Kopf an seinen. Er war so verblüfft, daß er ein paar Sekunden lang vergaß zu reagieren. Dann erwiderte er eifrig ihre Umarmung.
»Heute war der schrecklichste Tag meines Lebens«, sagte sie leise. »So viele entsetzliche Dinge sind geschehen. Ich hatte Todesangst. Ich bin zu dir gekommen, weil ich sonst niemanden mehr habe, zu dem ich gehen könnte. Aber ich möchte auch bei dir sein. Verstehst du das?«
»Nicht wirklich. Was ist passiert?«
»Es spielt keine Rolle, Andy. Ich bin immer noch ich. Für den Augenblick.« Sie küßte ihn, und eine Begierde stieg in ihr auf, wie sie es noch nie erlebt hatte. Die verzweifelte Sehnsucht, gehalten zu werden, bewundert, und das Versprechen zu hören, daß
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