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Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Titel: Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Frank
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wie viel Angst sie in den Herzen der »mächtigen Eliten« auslöst. [1]

Massenindividualismus
    Der hier beschriebene Opportunismus erstreckt sich bis in die unterste Organisationsebene der neuen Rechten. Das Markenzeichen der Bewegung sind sicherlich große Protestkundgebungen, im Grunde jedoch sind die Anhänger der Tea Party keine Massenmenschen. Auffällig ist, wie viele bei solchen Kundgebungen versuchen, das Rampenlicht zu ergattern, sei es mit einem provokanten, selbst gemachten Schild oder einer auffälligen Kostümierung. Auf einer Kundgebung 2010 in Denver stieß ein Mann direkt neben mir immer, wenn er einem Redner beipflichtete, in ein Armee-Signalhorn. Auf der Virginia Tea Party Convention im selben Jahr sah ich einen Mann mit einer über die Schulter drapierten Schlangenflagge durch die Reihen spazieren. Andere präsentieren sich mit Pistolen am Gürtel, selbst in der so sicheren wie friedlichen, ja beinahe klinisch wirkenden Umgebung eines Konferenzzentrums in Richmond. Eine Attraktion jeder Veranstaltung der Tea Party sind Leute in Kostümen aus der Kolonialzeit oder Uniformen des Unabhängigkeitskriegs. Manchmal treten auch professionelle Schauspieler als Gründungsväter auf.
    Es wirkt ein wenig peinlich, wenn Anhänger der neuen Rechten darüber streiten, wer der erste Anhänger der Bewegung war; sie ihre Gesinnungsgenossen zu überreden versuchen, nur noch bestimmte, von ihnen selbst entworfene Flaggen zu verwenden, oder einander mit patriotischem Spezialwissen wie der
vergessenen vierten Strophe
von »Star Spangled Banner« zu beeindrucken versuchen; wenn sie darüber sinnieren, wie sich aus einer Viertelstunde YouTube-Berühmtheit eine lebenslange Karriere basteln lässt. Doch all diese Versuche, der Sache seinen persönlichen Stempel aufzudrücken und sich selbst zu einer wandelnden Litfaßsäule zu machen, fügen sich meines Erachtens sehr gut zu den Bemühungen des konservativen Establishments, aus der Graswurzelbewegung Kapital zu schlagen. Beides ist Ausdruck der unternehmerischen Gesinnung, die die amerikanische Rechte auszeichnet.
    So kommt es, dass man in Versammlungen der Bewegungen immer wieder auf selbst ernannte Gründerväter trifft, die im stillen Kämmerlein an einer politischen Patentlösung basteln. Wer Tea-Party-Veranstaltungen besucht, wird irgendwann unweigerlich auf die Gruppe
GOOOH
stoßen, die den Plan verfolgt, »die 435 Karrierepolitiker aus dem Repräsentantenhaus zu jagen und sie durch Durchschnittsamerikaner zu ersetzen«. Sie werden dort die Leute von
iCaucus
treffen, die den Kongressmitgliedern drohen, ihnen die Bailouts mit dem sprichwörtlichen Knüppel heimzuzahlen. »Die Antwort, auf die wir alle gewartet haben, ist endlich da«, werden Sie dort erfahren, und zwar in Form der »Neuerklärung der Unabhängigkeit« einer anderen Gruppe, die zu unterzeichnen jedermann aufgefordert wird. Jemand anderes startete eine Bewegung
We Read the Constitution
, die überall im Land Veranstaltungen organisiert, auf denen Bürger laut die Verfassung verlesen. Klingt vielleicht langweilig, ist aber in Wahrheit »eine tief bewegende Erfahrung«, also bitte mitmachen! [11]
    Nachdem mithilfe der Tea Party 2010 das Repräsentantenhaus zurückerobert war, bestand die erste Aktion der neuen Abgeordneten – wie könnte es anders sein – darin, laut Abschnitt für Abschnitt die Verfassung vorzulesen.
    Hier ist jeder ein Philosoph. Manifeste, Blogs und Bücher in Kleinauflagen sind fester Bestandteil der Bewegung. Tausende von Möchtegern-Montesquieus spinnen sich mit nichts als dem, was sie aus der Bibel, der Verfassung und von Glenn Beck kennen, Theorien über die Verbrechen des Staats zusammen. Wenn man sich durch diese wackeren politischen Glaubensbekenntnisse liest, staunt man weniger über ihre Verschrobenheit als darüber, dass sie sich alle so sehr ähneln. Mit den immer gleichen genialen Schlussfolgerungen kommen alle diese selbst ernannten Philosophen zu immer denselben Schlüssen: Der Markt ist gottgewollt, die Liberalen sind elitär, und das Land ist in allerhöchster Gefahr.

Virales Marketing
    All das zusammen ließ sich auf einer Versammlung in einem von der Krise gebeutelten Landstrich von Washington State im August 2009 gut beobachten. Es war der »Town Hall Summer«, in dem Protestler ihren Unmut von der Straße in die traditionellen Fragestunden ihrer gewählten Vertreter trugen. Dies folgte demselben Muster wie die gesamte Tea-Party-Bewegung: Anfangs künstlich

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