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Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Titel: Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Frank
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»Sozialist« treffend bezeichnet. Konservative Entertainer schimpften wie die Rohrspatzen über die ruinöse Politik der Kollektivisten, und eine Woge der Staatsverdrossenheit mündete in diesem Herbst in einen großen Wahlerfolg der Republikaner.
    Und doch war keine der Befürchtungen, die das Land nach rechts trieben, auch nur halbwegs realistisch. Gleich beim Betreten der Bibliothek fiel mein Blick auf die neueste Ausgabe der britischen Zeitung
Guardian Weekly,
die dort auf einem der großen, alten Tische lag. Die Schlagzeile lautete: »Kapitalismus unangefochten«. Drei Jahre war es inzwischen her, dass die ersten Vorbeben den internationalen Kreditmarkt erfasst hatten, aber politisch hatte sich nichts verändert. Die Ideologie des freien Marktes herrsche immer noch unumschränkt, berichtete das Blatt, und der Beinahe-Zusammenbruch habe das Finanzsystem nur ganz kurz aus dem Tritt gebracht. Ein hochrangiger Mitarbeiter der Bank von England wurde mit den Worten zitiert, es gebe »weit weniger Nachwirkungen als in den Dreißigerjahren«.
    Damals gab es auf der ganzen Welt einen regelrechten Wettstreit darum, welches das richtige System für eine moderne Gesellschaft sei, und der Börsenkrach brachte viele Menschen zu derÜberzeugung, dass Kapitalismus und freie Märkte nicht zukunftsweisend seien. Von so etwas kann diesmal keine Rede sein.
    Indien und China haben die Deregulierung ihres Finanzwesens möglicherweise ein wenig gebremst, aber im Großen und Ganzen hat sich an der Richtung, in der sich die Welt bewegt, nichts geändert. Das entspricht einem Ende der Ideologien. Der Kapitalismus herrscht weiter unangefochten. [1]
    Ich dachte an die hart arbeitenden Amerikaner, die gerade so treu und brav auf die gellenden Warnrufe der Tea Party reagierten. Da wetterten sie gegen die Machtübernahme der Sozialisten und schworen, den linken Usurpatoren in Washington Widerstand zu leisten, und dann erklärte ein Zentralbanker in der Zeitung, dass nichts von alledem geschehen sei. Von der »Sozialismus«-Titelgeschichte der
Newsweek
bis hin zum jüngsten Bestseller über die Tyrannei der Linksliberalen: Alles nur falscher Alarm.
    Gar nichts hatte sich geändert.
Wir standen nicht kurz davor, in den Gulag gesperrt zu werden. Der Kapitalismus wurde keineswegs abgeschafft. Die Finanzkrise hatte schließlich doch keine Linksradikalen in Amerika an die Macht gebracht. Das Sein stand in atemberaubend krassem Gegensatz zum Schein.
    Das ist das große Rätsel, dem wir uns nun widmen werden: die Epistemologie der neuen Rechten, ihre Art, die Welt wahrzunehmen – oder, genauer gesagt, sie eben
nicht
wahrzunehmen. Ihre Fähigkeit, jahrelang die Furcht vor einer Invasion vom Mars wachzuhalten, obwohl die Marsianer hartnäckig ausbleiben.
    Welche Art von Wahrnehmungstäuschung ermöglicht es der neuen Rechten, Tatsachen zu ignorieren, die allen anderen Menschen klar und deutlich vor Augen stehen? Welche kognitiven Fehlzündungen bringen sie zu der Auffassung, die Kritiker der Bailouts seien für eben jene Bailouts verantwortlich? Deregulierung sei nicht das Problem, sondern die Lösung? Ayn Rand spiele im gegenwärtigen Desaster weniger die Schurken- als vielmehr die Heldenrolle? Wie erklärt sich dieser gravierende Unterschied zwischen Sein und Schein?

Das Ende der Ideologien?
    Um das zu verstehen, sollten wir uns auch andere Gelegenheiten ins Gedächtnis rufen, bei denen der Flirt der Konservativen mit dem Irrsinn ans Licht trat. Wir sollten den Blick schweifen lassen über die lange, peinliche Geschichte der Debatte um die Evolutionstheorie und der Kontroverse um die Erderwärmung. Wir sollten uns an die diversen Kampagnen der Bush-Regierung gegen Wissenschaftler im Staatsdienst und gegen Kritiker der offiziellen Begründung für den Irakkrieg erinnern. Wir sollten uns auch ansehen, wie hartnäckig die Republikanische Partei an der Theorie einer angebotsorientierten Haushaltspolitik festhält, obwohl diese Theorie niemals Erfolge produziert.
    Wir sollten unser Augenmerk auf die offensichtlichen Unwahrheiten richten, welche die konservative Bewegung zu ihren Glaubensartikeln zählt: Die Roosevelt-Regierung habe die Große Depression entweder ausgelöst oder doch immerhin verschärft. Das Land werde seit den Zeiten von Woodrow Wilson von den Progressiven beherrscht. George W. Bush habe nur vorgetäuscht, ein Konservativer zu sein. Börsenmakler seien auch nichts anderes als ganz normale Arbeiter. Der Staat trage, bis in die

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