Armeen Der Nacht
fürchten.«
»Hm. Und vor wem, Karawanenmeister?«
»MIR!« brüllte er und verzog sein vollbärtiges Gesicht zu einer erschreckenden Grimasse. Gleichzeitig zog er seinen Krummsäbel aus seiner abgetragenen karierten Schärpe. Er krümmte die Finger der anderen Hand zu Krallen und sprang auf sie zu.
Er machte nur den einen Satz, die Angehörigen der Abordnung hingegen viele hastende Schritte. Schreiend stoben die vier in alle Richtungen auseinander.
Als Eliab am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang aufstand, stellte er fest, daß die verschleierte Dame Frühstück aus ihren eigenen Vorräten für ihn zubereitet hatte und in aller Ruhe seinen Dolch schärfte.
»Vielen Dank, Lady.« Der Karawanenmeister verbeugte sich fast höfisch.
»Ich danke Euch, Karawanenmeister.«
»Hättet Ihr die Güte, dieses köstliche Frühstück mit mir einzunehmen, Lady?«
»Nein, Karawanenmeister«, sagte sie und erhob sich. »Denn ich könnte nicht essen, ohne Euch mein Gesicht zu zeigen.«
»Ich verstehe, Lady. Und nochmals vielen Dank.«
Er machte eine respektvolle Geste und blickte ihr nach, während sie zum Zelt schritt. Ihr langer Rock streifte über den Boden, und ihr Umhang flatterte im schneidenden Wind.
Danach wies er einen seiner Leute an, ihr Zelt besser zu sichern. So hatte die Abordnung wenigstens ein Gutes.
Endlich erreichte der Zug aus Menschen, Tieren und Ware die erschöpfte Stadt namens Freistatt. Die verschleierte Dame nahm ihre drei Pferde und begab sich mit ihnen in die staubige alte Innenstadt. Die anderen sahen sie nicht wieder und dachten auch bald nicht mehr an sie. Doch weder der stämmige, gutaussehende Wächter aus Mrsevada noch Meister Eliab vergaßen sie je völlig. Doch hatte keiner von ihnen sie je wirklich gesehen, und so sahen die Männer sie auch nie wieder, noch hätten sie sie erkannt, wenn sie ihr begegnet wären, denn die verschleierte Dame nahm ihren Schleier alsbald ab.
In dieser dahinsiechenden Stadt der Diebe, in der nun starräugige >Leute< von Übersee regierten, ohne Beistand durch das >schützende< und >kaiserliche< Ranke, fiel es einer verschleierten Dame nicht schwer, für ein paar Münzen und ein oder zwei Versprechen, einen Diener zu finden. Sie erschreckte den armen Burschen jedoch mit der Anweisung, ihn zu sich nach Hause zu führen. In seiner schlecht geheizten Behausung und inmitten neugierigen Wisperns unter den Nachbarn machte sie sich daran, ihre Gewandung zu wechseln. Dazu gehörte auch die Entfernung ihrer Kopfbedeckung. Und das erregte, als sie wieder ins Freie trat, noch mehr Wispern, ja sogar Ehrfurcht.
Diese Leute waren die ersten außerhalb von Suma, die Gesicht und Figur der Person sahen, deren Namen weder Cleya war noch Saphtherabah, sondern Kaybe Jodeera.
Sie war von unbeschreiblicher Schönheit, was gleichermaßen ein Segen und ein Fluch war. Jodeera wußte, daß sie schön war. Sie gestand sich diese Tatsache ein, verstand sie und fand sich damit ab. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß ihre Schönheit kein Segen war, sondern ein Fluch. Sie hatte die Erfahrung gemacht, daß es unklug für eine Frau von so auffallender Schönheit war, ohne Begleitung zu reisen. Selbst mit einem Beschützer und im bitterkalten Winter wäre die Verlockung für manche vielleicht zu groß gewesen, und es hätte ihretwegen zu Schwierigkeiten in der Karawane kommen können. Deshalb hatte Jodeera beschlossen, sich völlig zu vermummen. Besser, wenn andere sich deshalb den Kopf zerbrachen und über sie klatschten, als daß es zu schlimmeren Schwierigkeiten käme. (Sie war weder schwanger noch fett, ja nicht einmal >vollschlank< — diese beschönigende Bezeichnung, deren sich Leute bedienten, die kein Maß bei Speise und Trank kannten.)
Unverschleiert trat sie aus der Behausung ihres neuen Dieners und schloß die Spange ihres langen Umhangs über dem azurblauen und smaragdgrünen Gewand einer vornehmen Dame. Ihre Erscheinung wetteiferte mit dem Glanz der Sonne, ihre Schönheit mit der der Göttin Eshi selbst.
Und sie suchte einen Mann. Einen ganz bestimmten Mann.
Sie und ihr Diener — er hieß Wintsenay und ließ sich am besten als etwas alter Straßenbengel beschreiben — schritten durch die Stadt, wurden Zeugen eines Mordes und taten, als sähen sie es nicht, machten zwei Straßen weiter vorsichtig einen Bogen um einen anderen Ermordeten beantworteten zufriedenstellend die Fragen eines beysibischen Geschöpfes, das übernervös wirkte und allzu bereit, das Schwert auf
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