Armeen Der Nacht
seinem oder ihrem Rücken zu zücken, und gelangten schließlich zu einem besseren Gasthaus. Dort quartierte Jodeera sich ein.
Oh, wie alle Köpfe im Weißen Schwan sich nach ihr umdrehten! Trotzdem veranlaßte sie, daß man sie sofort zu einem Gemach mit einem guten Bett und einem guten Schloß an der Tür brachte. Obgleich viele warteten und aufpaßten und andere sich schönen Wunschträumen hingaben, kehrte sie nicht in die Gaststube zurück. Sie blieb in ihrem gemieteten Gemach, und ihr Diener Wintsenay schlief bewaffnet vor ihrer Tür. Doch im Weißen Schwan hatte sie nichts zu befürchten.
Noch ehe sie am nächsten Morgen aufstand, sprach sich ihre Ankunft bereits herum. Es kam selten vor, daß sich schöne Frauen allein nach Freistatt verirrten. Nicht einmal Hakiem konnte sich erinnern, wann dies das letzte Mal der Fall gewesen war. Doch nun war tatsächlich eine echte Schönheit angekommen. Sie war allein, und sie war rätselhaft. Nachdem sie sich einen einfachen, niedrig geborenen Mann zum Diener genommen hatte, hatte sie im Weißen Schwan ihren Namen als Ahdioma von Aurvesh genannt.
Was die Dame selbst betraf ... »Seht Ihr diesen Ring?« fragte sie den Schankburschen, der tagsüber den Wirt vertrat. Er strengte sich sehr an, seine Unterlippe hochzuziehen, um den Mund schließen zu können, während er sie anstarrte.
Wenigstens dachte er daran zu nicken, und sie sagte: »Wenn Ihr ihn das nächste Mal seht, wird er Euch zugeschickt, und Ihr werdet tun, worum ich Euch ersuche.«
Er versicherte ihr, daß sie sich auf ihn verlassen könne.
Ohne zu frühstücken und sichtlich nicht am neuesten Klatsch über die blutigen Unternehmen der VFBF in der vergangenen Nacht interessiert, verließ sie den Weißen Schwan. Sie schritt durch die heruntergekommene Diebeswelt mit ihren zweifelhaften Geschäften, den abbröckelnden Stuckfassaden und dem zerfallenden Mörtel zwischen den Steinen. Der Wind, der durch diese Straßen pfiff, schwer von Staub, spielte mit Umhängen und Tüchern und trug den Geruch nach Tod mit sich.
Jodeera fiel überall auf, wohin immer sie sich in dem fluchbelegten Freistatt begab. Ihr Haar war von glänzendem, dunklem Rot, der Farbe schweren alten Weines; ihre Augen mochten haselnußfarben sein, vielleicht auch grün — das hing vom Betrachter ab und wie sie zur Sonne stand. Ihre Figur machte den Männern, gleichgültig welchen Alters, den Mund wäßrig. Sie wurde von ihrem Diener, Wints genannt, begleitet, dessen Gesicht gewaschen war und der sich bemühte, finster dreinzuschauen, während er eine Hand um den Griff eines dieser langen Ilbarsidolche hatte, den er durch eine rot-gelbe Schärpe über dem alten braunen Umhang gesteckt hatte.
Im Basar drückte sie eine kleine Silbermünze in eine sich rasch schließende braune Hand und durfte sich in eine hintere Stube zurückziehen. Als sie wieder heraustrat, hielt ein einfaches Stirnband von stumpfem Grün ihr Haar zusammen. Ein Schleier von etwas freundlicherem Grün bedeckte ihre untere Gesichtshälfte. Zu sehen waren ihre Ohren mit durchbohrten Läppchen, doch ohne Ringe oder Anhänger, was wenig anziehend war, wie sie wußte.
Sie verweilte ein wenig in der Bude einer Seherin, während die S'danzotochter und der Diener Wints den Ring zum Weißen Schwan trugen. Nein, sie wollte nicht, daß ihr die S'danzo die Karten las. War die freundliche S'danzo verschwiegen? — Ja. Und kannte sie vielleicht einen gewissen Mann? Dann erwähnte die verschleierte Schöne einen Namen und gab eine Beschreibung.
Nein, die S'danzo kannte ihn nicht; vielleicht könnten jedoch die Karten helfen? — Nein, kein Kartenlesen: Ein Blick in die Angelegenheiten der verschleierten Dame war unerwünscht.
Klug wie sie war, sprach die S'danzo nicht mehr davon. Sie nahm an, daß diese Fremde entweder so vorsichtig war, daß nicht einmal eine verschwiegene Seherin etwas über sie wissen sollte — oder sie wollte selbst nicht mehr über sich und ihre zukünftigen Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten wissen, als sie bereits tat.
Wintsenay und die Neunjährige kehrten alsbald mit den drei Pferden der verschleierten Dame zurück. Dann schickte sie die beiden wieder aus, um für ihre Unterkunft in dem Gasthaus zu sorgen, das ihre neue S'danzofreundin ihr empfohlen hatte.
Ihn, den sie suchte, sah sie an diesem Tag nicht. Zweimal mußte sie anhalten und Angehörigen der Besatzungsmacht ihr Gesicht zeigen, doch offenbar sah sie niemandem ähnlich, den sie suchten. Zwei
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