Armeen Der Nacht
führte. Trotz aller Versuche der einzelnen Banden und Faktionen, Schluß damit zu machen, nahm das Geschäftsleben seinen alltäglichen Lauf. Das war ein Beweis, daß Ranke noch nicht am Ende war; während andere das Gegenteil beweisen wollten.
Strats Augen entging nichts auf seinem Weg, und seine Haut nahm die Temperatur der Blicke auf, die ihm galten.
Die gemischten Bewohner Freistatts verließen des Tages ihre Häuser. Die paar Läden, deren Wände beschmiert waren und die Zeichen von Jubals Bande aufwiesen, die hier in diesem Viertel herrschte, hatten kaum etwas feilzubieten. Es gab nur noch wenig Ware, und die Kaufleute waren vorsichtig. Viele Türen blieben verschlossen, und manche waren mit Brettern verschlagen. In der oberen Stadt war es anders; dort konnten die Kaufleute mehr Wächter für ihre Läden anwerben, und die Reichen verdoppelten dort ihre Schlösser und Riegel an den Türen. Walegrin und seine Garnisonssoldaten wußten ebenso Bescheid wie die Söldner, die der Prinz angeworben hatte; und beide taten ihr Bestes, um die andere lange Straße offenzuhalten, die vom Hügel zum Hafen führte.
Straton hob den Blick und blinzelte in den Tag. Erfüllt von der gewohnten Mattigkeit eines Morgen danach ließ er seinem Pferd die Zügel und hing seinen wirren Gedanken nach. Sein Blick wanderte dahin und dorthin, nahm die Einzelheiten einer beschmierten Wand auf, die von den nächtlichen Unternehmen der Todestrupps kündeten, flog über einen Bettler, der rasch vor den Hufen seines nervösen Pferdes auf den Bordstein zurückwich. Ein Karren mit leeren Behältern ratterte vorüber. Ein Leiterwagen ächzte unter der Last des geladenen Gerumpels. Aus einer Kanalöffnung stieg ihm süßlicher, unangenehmer Gestank in die Nase. Ein blauer Himmel schien auf Rankes langsamen Tod herab.
Wieder blinzelte Strat und sah durch den Schleier von Freistatts zahllosen Morgenfeuern eine der langen Straßen hinauf.
Ihm schien, als wäre auf der Welt eine Linie gezogen, mit Narren auf beiden Seiten, und er war einer der wenigen, die sich selbst als Narr erkannten. Die hohen, vornehmen Häuser, wo Ranke seine letzten Stunden vergeudete, waren vergebens gegen die Flut verbarrikadiert, die bald die obere Stadt erreichen mußte. Walegrin konnte sie nicht auf die Dauer halten. Aber den anderen erging es nicht besser.
Freistatt mit dem Rücken zum Meer.
Freistatt mit seinen Göttern, seinen Kaufleuten und dem letzten, verlorenen Streifen sicheren Landes im Reich. Nisibisi würden vom Norden her an den Küsten herbeifegen; und die Beysiber würden wie eine Sturmwelle aus dem Süden heranwogen. Und für einen intelligenten Mann, der sein Leben lang den Soldaten für die Narren gespielt hatte, die Gold und Purpur trugen, gab es am Ende Aufruhr und Mord auf den Straßen der Stadt.
Narr, dachte er und haßte Kadakithis, weil er nicht war, was er sein sollte. Er hatte eine Vision von dunklen Augen, spürte den Hauch sanfter Lippen und den schwindelerregenden Sturz in die Schwärze.
Er griff nach den Zügeln, blickte mit schweren Gedanken hügelauf. Dann ruckte er an den Zügeln, daß die Hufe des Braunen durch das Labyrinth klapperten, durch die immer verschlungeneren Straßen und Gassen. Rote VFBF-Zeichen übertünchten die üblichen obszönen Schmierereien, und darüber war Jubals blauer Falke gemalt. Der Braune wich Tonscherben aus, und ein Mädchen sprang schreiend vor ihm an den Straßenrand zurück. Ein Stein prallte ab, hüpfte über das Pflaster. Die Jungen waren immer rebellisch.
Im Haus in der oberen Stadt hallten weiche Schritte und das Schließen einer Tür. Moria kam in ihren Morgenrock gehüllt die Treppe herab. Sie verfluchte die Dienstboten, stieß eine unfeine Verwünschung aus und blieb wie angewurzelt auf einer Stufe stehen, als sie sah, wer da hereingekommen war. Sie verkrampfte eine Hand um den Ausschnitt des Morgenrocks, strich mit der anderen eine Haarsträhne zurück und blinzelte in das schwache Licht. Als ehemalige Diebin, ehemalige Falkenmaske, kannte sie die vornehme Gestalt, die neben der caronnischen Vase in der Eingangshalle stehengeblieben war, diesen feinen Herrn im Umhang, der lächelnd zu ihr aufblickte.
Ihr Herz pochte. »Haught!« Sie stürmte die Treppe ganz hinunter und erinnerte sich plötzlich dabei, daß sie nicht mehr die gewandte Straßennymphe war, nicht mehr die starke Frau, als die Haught sie kennengelernt hatte. Er war nun vornehm und elegant, und sie ... sie war immer noch die Moria
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