Armeen Der Nacht
gehörst in die Sonne. Und ich ertrage diese Art von Licht nicht ... O nein, nicht wirklich ...« Sie drückte einen Finger auf seine Lippen. Er war in dieser Beziehung immer besonders rasch mit seinen Fragen, mißverstand sie jedes Mal. »»Fragen ertrage ich genausowenig wie aufzufallen. Ich finde meine Verbündeten an dunklen Orten: jene, die niemand vermißt; die unverhohlen Gewalttätigen. Ich säubere die Straßen. Du aber gehörst in den Sonnenschein. Du bist zum Führer bestimmt. Hör mir zu und denk darüber nach: Bist du ein größerer Narr als Kadakithis?«
»Nicht Narr genug, wie Kadakithis zu sein.«
»Ein Mann könnte diese Stadt zum Bollwerk machen, hinter dem Ranke zu überleben vermöchte. Kadakithis wird dir dein Reich verlieren, und du könntest es retten.
Verstehst du denn nicht? Ranke befindet sich bereits im Rückzug. Kräfte sammeln sich hier in Freistatt, in der letzten Festung, die Ranke hat. Und euer kurzsichtiger Prinz liegt mit seiner Schlangenkönigin im Bett, bis das Gift auch noch den Rest seines Verstandes auflöst. Siehst du das denn nicht? Siehst du nicht deine einzige Chance in dieser Beysiberinvasion?«
Er blinzelte wieder, blinzelte zweimal. »Was meinst du damit?«
»Glaubst du alles, was die Beysiber über den Grund ihres Kommens behauptet haben? Welch ein gewaltiger Zufall — ihre Ankunft gerade zu dem Zeitpunkt, als die Nisbisi ihren Druck aus dem Norden ausüben und Ranke zu schwanken beginnt. Ich glaube nicht an Zufall. Ich traue dem Zufall nicht, wenn Zauberer verwickelt sind. In seiner Torheit hat Kadakithis eine fremde Flotte durch unser Südtor eingelassen, während Roxane aus dem Norden fremdes Gold in die Hände von Ilsiger Todestrupps schüttet und den Dummköpfen Unabhängigkeit verspricht. Unabhängigkeit. Hör mir zu. Ich kümmere mich um Roxane. Aber ich kann nicht offen auftreten. Du kannst es. Du bist ein Mann, der harte Entscheidungen fällen kann. Ein besserer Mann als irgendein anderer gegenwärtig in Freistatt, ein viel besserer Mann als Kadakithis ...«
»Ich bin an meine Pflicht gebunden ...« »Wem gegenüber? Den Stiefsöhnen? Führe sie!« »Wir haben einen Führer. Ich habe einen Gefährten ...« »Critias. Er folgt Tempus. Und Tempus ... Verstehst du ihn überhaupt? Er könnte eine Welt einnehmen. Ein einziger seiner Männer könnte eine Stadt einnehmen, einem Reich Halt geben. Du, Straton! Und sie ihm überreichen. Tempus hat hier eine Chance — doch du bist der einzige, der sie für ihn ergreifen kann; der einzige, der dazu in der Lage ist. Ranke hat eine Chance — hinter Freistatts Mauern. Was ist, wenn Tempus kommt? Es könnte da bereits zu spät sein. Was nützt irgendetwas, wenn es zu spät kommt? Hör mir zu! Hör zu, was ich dir zu sagen habe, und überleg dir dann in Ruhe, ob mein Rat gut ist.«
»Du«, sagte Janni, und Stilcho, der mit dem Rücken zur schwarzen Luft und dem Fluß stand, spürte kaum fühlbare Hände an beiden Armen. Er blickte in ein nahezu festes Gesicht und Jannis beste Erscheinung — Janni, wie er gewesen war. Vor Roxane. »Du bist der einzige, an den ich mich wenden kann, der einzige, den ich erreichen kann. Ich habe die ganze Stadt abgesucht ...« Nur die Götter wußten, was das einschloß, dieses nächtliche Umherstreifen. Stilcho ahnte es. »Bei den Göttern, Stilcho, uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Toten dieses Höllenlochs patrouillieren durch die Straßen, halten an den Brücken Wache. Die Hälfte gehören Roxane. Einige gehören zu niemandem. Mann, du bist immer noch ein Mann, das einzige, das dir geblieben ist ... hast du soviel Angst vor Ischade? Liegt es daran? Du streifst ihre Leine ab und sie ... sie nimmt dir alles weg, was sie dir gegeben hat? Ist es das, was du fürchtest, Mann? Du hast einen Eid geleistet. Er hat dir einmal etwas bedeutet. Du hast ihn gehalten, und diese Hundesöhne haben ihn in den Schmutz gezogen. Ich bitte dich jetzt, ich flehe dich an, hol meinen Gefährten da heraus. Er ist unentbehrlich, verstehst du das denn nicht? Er ist — was er ist. Und sie werden ihn benutzen! Roxane hat ihn um den klaren Verstand gebracht, und die Priester bringen ihn um den Rest ...«
»Du bist die schlimmste Art von Geist, Janni. Die schlimmste. Die wandelnde. Du willst nicht zurück. Habe ich recht? Nicht, bis jemand dir den Frieden bringt.«
»Nein«, entgegnete Janni. Die Fühler von etwas sehr Kaltem wogten um Stilcho, zwischen ihm und seinem Körper. Er öffnete den Mund, um zu
Weitere Kostenlose Bücher