Armegeddon Rock
kreuz und quer von weißen Narben durchzogen, tiefen und furchtbaren Narben. »Vielleicht nicht genug. Ich weiß es nicht. Ich versuche es. Es hat nie eine wirklich unblutige Revolution gegeben. Der Preis muß bezahlt werden.«
»Für was?« fragte Sandy heiser. »Wer hat diesen Hund umgebracht, verdammt? Wer hat Lynch das Herz rausgerissen?«
»Das spielt keine Rolle.«
»WER?« schrie Sandy. »Oder was? Das ist die richtige Frage, oder? Was, nicht wer! Irgendein… Ding… eine Kraft. Ich kann es nicht glauben, aber es ist wahr, nicht?«
»Du kannst es nicht glauben, und das ist dein Problem. Die Zeit für Rationalität ist vorbei. Das weißt du. Du hast die Musik gehört. Warum kämpfst du immer noch dagegen an? Das ist das letzte Stück auf der ersten Seite. Das ist die…«
»… Prelude to Madness. Der Auftakt zum Wahnsinn«, beendete Sandy für ihn. »Ja, ich verstehe. Der Tote hob heute nacht die Hand, stimmt’s?«
Edan Morse lächelte und sagte nichts.
Sandy spürte eine furchtbare Kälte in dem Zimmer. Eines der Fenster hinter Morse war offen, und die Vorhänge bewegten sich leicht im Wind, aber die warme Junibrise war plötzlich eisig geworden. Dort draußen am Nachthimmel über den schwarzen Türmen mit ihren Lichterjuwelen waren Sterne wie eine Million gelber Augen. Sie würden nie wegschauen. Sandy fröstelte, und irgendwie wußte er tief in seinem Innern, daß Morses Meister jetzt bei ihnen war, heraufgerufen von der Musik und dem Blut und dem Sterben, und ihn anstarrte. »Mach das Fenster zu«, sagte er.
»Mach schon, Gort«, fauchte Morse. Als der große Mann gehorchte, beugte Morse sich vor. »Du billigst es nicht«, sagte er.
»Sie wissen nicht, was Sie tun«, sagte Sandy.
»O doch. Du und ich, wir haben alles schon probiert, nicht wahr? Du hast es mit Wahlen und Zeitungen undÜberzeugungsarbeit und Kompromissen probiert. Ich hab’s mit Attentaten und Aufruhr und Gewalt versucht. Nichts davon hat funktioniert, oder? Das ist alles, was uns bleibt, Blair. Das ist unsere letzte Chance.«
»Es ist es nicht wert.«
Morse starrte ihn an, aber es war Ananda, die antwortete. Sie langte hinüber und berührte Sandys Gesicht und drehte es zu ihrem herum. »Du irrst dich«, sagte sie.
»Nein…«, setzte er an.
»Doch«, sagte sie rauh. »Hör mir zu. Nicht wert? Sandy, irgendwelche Irren töten einen Hund, und du sagst, das ist es nicht wert? Ein Hund? Schau dich um. Sieh dir an, wie’s in der Welt läuft. Wir haben ein rasantes nukleares Wettrüsten, das sich jeden Moment in einen Holocaust verwandeln kann. Wir haben den Ayatollah und Falwell {12} , und früher hatten wir Jim Jones, und die sind in Wirklichkeit alle gleich, stimmt’s? Wir haben eine Scheißregierung, die sich einen Dreck um Armut oder Hunger oder menschliches Elend schert. Überall begrenzte Konflikte, und uns gehen die Rohstoffe aus, die Energie wird uns knapp und die Hoffnung auch. Wir vergiften die Luft, das Wasser und den Boden. Es gibt Völkermord im Mittleren Osten, Rassismus und Sexismus hier bei uns, Fremdenfeindlichkeit und Haß auf allen Seiten. Wir stehen vor einer Zukunft in drückender Armut, ökonomischem Chaos und grausamer Unterdrückung in einem neuen faschistischen Polizeistaat, und wir haben nicht mal die Kraft, dagegen anzugehen, weil wir unseren Mut verloren haben, weil wir zynisch und selbstsüchtig geworden sind. Wir sind geschlagen, wir sind verloren und verdammt. Wir müssen die Dinge ändern. Wir müssen zurückholen, was wir verloren haben, und dies ist der einzige Weg, das zu tun – das ganze verrottete, stinkende System niederzureißen und neu anzufangen, klüger und besser. Es ist es wert. Ich würde jeden verfluchten Hund auf der ganzen verfluchten Welt töten, wenn es dazu nötig sein sollte, und das wäre es immer noch wert!« Ihr Gesicht war gerötet und aufgewühlt. Die großen dunklen Augen, so oft schelmisch, waren jetzt zornig. Das glänzende schwarze Haar, über das Sandy gerne strich, wogte hin und her, als sie wütend den Kopf schüttelte. Sie atmete schwer, und ihre Brüste unter dem blaßblauen Sweater hoben und senkten sich mit jedem Atemzug. Das schiefe, ironische Lächeln war verschwunden und von trotzig zusammengekniffenen Lippen ersetzt worden, und irgendwie wirkte ihre so oft neckische Kopfhaltung jetzt wie eine Kampfansage. Sandy hatte plötzlich das erschreckende Gefühl, daß er sie in Wirklichkeit überhaupt nicht kannte. Aber sie war alles, was ihm noch geblieben war,
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