Arminius
ausgeworfen. Wem durfte man trauen? Niemand konnte das mehr sagen. »Brudersöhne/Brechen die Sippe«, hatte Nerthus verkündet.
Die Priester würden mit den Fürsten sprechen. Elda, so rieten sie, könne die Kunde zu den Frauen tragen. Arminius aber müsse Sorge tragen, dass die germanischen Hilfstruppen hinter ihm stünden, denn Germanien, das in tausend Stämme zerfallen war, existierte bisher nur in dieser von den Römern erschaffenen Streitmacht. Sie hatten Germanien in Gestalt der Hilfstruppen erst geschaffen, um es zu beherrschen, die Streitmacht, die sich nun gegen sie wenden sollte. In der Legion, die aus Cheruskern, Marsern, Brukterern, Chauken, Semnonen, Rugiern, Usipetern, kurz, aus Germanen der vielen Stämme bestand, würde die Freiheit geboren werden.
So war das Bündnis geschmiedet. Arminius schwor, dass er als König der Krieger die Freiheit bringen werde. An dem undenkbaren Tag, an dem er sie aber verraten würde, sollte ihn der vielfältige Tod treffen.
Und dann glaubte er auf einmal zu träumen. Die vogelähnlichen Wesen erhoben sich. Sie nahmen mit anmutigen Bewegungen ihre Masken ab und ließen die Gewänder herabgleiten. Vor ihm standen Frauen unterschiedlichen Alters in einfachen weißen Gewändern. In der Mitte aber entdeckte er zu seinem Erstaunen Elda. Hatte er sie nicht bei dem Fischer zurückgelassen? Die Priester der Nerthus oder die Wächter mussten sie während der beiden Tage, in denen er mit Istvaez zu Fuß zum Heiligtum unterwegs war, abgeholt und hierher gebracht haben.
Dann wurde ihm plötzlich heiß und kalt. Schlagartig wurde ihm nämlich bewusst, dass auch sie des Todes gewesen wäre, wenn er die Prüfung nicht bestanden hätte. Über dem weißen Kleid trug sie einen blauen Umhang, der mit einer goldenen Fibel, die Rubine zierten, zusammengehalten wurde. Ihr üppiges, blondes Haar bändigte eine Kappe aus Goldblech, die mit drei Reihen von Saphiren, Aquamarinen und Rubinen besetzt war. Um ihren Hals lag eine Kette aus Bernstein. Doch am hellsten und klarsten von allen Edelsteinen leuchteten ihre blauen Augen. Augenblicklich begriff Arminius, dass Nerthus die Vereinigung, die heilige Hochzeit forderte, die sie zu König und Königin machen würde.
Das Paar wurde durch das Heiligtum geführt, dann durch zwei hintere Durchgänge durch die Palisaden und über kleine, steile Stufen den im Mondlicht strahlend weißen Kreidefelsen hinunter geleitet. Am Strand stand eine kleine Hütte.
Istvaez legte ihre Hände ineinander. »Von nun an sollt ihr alle Nächte und alle Tage wie diese Nacht miteinander teilen. In Freud und in Leid, in Sieg und in Niederlage.«
Die Priester warteten, bis Arminius und Elda die Hütte betreten hatten, in der ein behagliches Feuerchen brannte, denn vom Meer drang eine empfindliche Kühle herüber, dann stiegen sie wieder die Steilklippe hinauf.
Die Sinne der beiden jungen Leute und ihre Körper, ihre Gedanken und ihre Gefühle hielten in dieser Nacht, in dieser Hütte am Strand Hochzeit. Ganz gleich, was die Zukunft auch für sie bereithalten sollte, sie gehörten zusammen, auf immer.
Am anderen Morgen erfrischten sie sich in den kühlen Wellen des Ostmeeres. Das kalte Wasser prickelte auf ihrer Haut. Sie genossen diesen Augenblick, der ewig hätte währen mögen, doch Heban wartete bereits mit den munter tänzelnden Pferden, ungeduldig wie Zukunft, die beginnen wollte.
28
Die Zeit flog schneller dahin, als dass sie das schnellste Pferd einzuholen vermocht hätte. Arminius nahm Quartier im Lager der Hilfstruppen in Aliso. Umgeben von seinen Soldaten fühlte er sich am sichersten. Durch Herolde gab er seine Verheiratung weithin bekannt und ließ alle wissen, dass er kein Fest ausrichte, weil es sich nicht schickte, in einer Zeit zu feiern, in der er um seine Eltern trauerte, die feige und brutal ermordet worden waren. Dann ritt er in die Stadt der Ubier, um mit Varus zu sprechen.
Velleius begleitete ihn zum Forum, wo der Statthalter an diesem Tag Gericht hielt. Als er Arminius sah, erhob er sich, um ihm sein Beileid zu bekunden, doch dieser hob abwehrend die Hand und sagte: »Salve, Varus. Ich bin gekommen, um Klage zu erheben!«
Varus nahm wieder Platz. »Bitte.«
Die Menschen, die sich an diesem Tag aus vielerlei Gründen auf dem Forum versammelt hatten – manche, weil sie Klage führen oder sich verteidigen wollten, andere, nur um dem Schauspiel des Gerichts beizuwohnen –, verstummten mit einem Mal. Einige, die Markt oder Tempel besuchten,
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