Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arminius

Arminius

Titel: Arminius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
Vom Netzwerk:
Gesänge. Die Zeit stand still, denn Sunna und Sinthgunt hatten ihre Reise unterbrochen, und die Nornen hörten auf, das Schicksal zu weben. Selbst das Meer fiel in einen tiefen Schlaf, die Wellen hielten in ihrer ewigen Bewegung an, und die Brandung verebbte am Gestein der Küste. Tiefrot und gelb umzüngelt schossen von der Steilküste Flammen ohne Zahl nach oben und leckten verführerisch und gierig an dem weißen Küstenfelsen. Das Feuer, das seine züngelnden Feuerschwerter nun in einem dicken Rauch verbarg, war gefräßig und bereit, die Welt zu verschlingen. Doch wo Gefahr war, wuchs Rettung auch. Aus der schwarzen Wolke vor dem tiefblauen Himmel, die der inzwischen matt und ausgebleicht daliegenden See ihre dunkle Farbe geraubt hatte, und dem allerletzten Licht der Sonne, das im Schwarz der Wolke erstarb, schoss plötzlich ein Wagen von unten über den Rand der Steilküste, den zwei nackte Männer mit weißen Leibern zogen, und hielt auf die Irminsul zu. Auf dem Bock saß eine riesige Frau, dahinter erhob sich eine Art Gestell, das so groß war, dass es selbst die Riesin überragte. Ein dichter weißer Vorhang entzog dem Blick, was sich dahinter verbarg. Ein Vorhang wie geschwemmte Kreide.
    Die Frau stieg vom Wagen. Sie trug einen Wolfskopf, ihren mächtigen Leib bedeckten bunte Felle. Eberzähne in den verschiedenen Farben und Gebein in unterschiedlicher Größe zierten die Kleidung. Ihr Gesicht hatte die Geheimnisvolle geschwärzt und vier weiße Streifen von innen nach außen gezogen. Das musste Gana sein, die Priesterin, die vor einem Menschenleben Drusus von der Albia, der heiligen Grenze, vertrieben und mit einem Schadenszauber belegt hatte, der ihm kurz darauf auch tatsächlich den Tod brachte. Sie verbeugte sich vor Nerthus, die sich hinter dem Vorhang befand, der ein Schutz für die Priester war, denn niemand, auch keiner ihrer menschlichen Diener durfte die Göttin je sehen – er wäre augenblicklich des Todes.
    Arminius verfolgte das alles mit Staunen, Neugier und Furcht zugleich. Würdevoll schritt Gana zur Irminsul. Zwei blau und zwei rot gewandete Priester schleppten einen riesigen Bronzekessel herbei, der reich verziert war mit der Darstellung von Opferhandlungen. Arminius vermutete, dass ein mittelgroßer Mensch bequem Platz im Kessel gefunden hätte. Mit bloßen Händen nahm Gana aus den beiden Halbkugeln der Irminsul glühende Holzkohlen und schob sie in einen Haufen von Holzscheiten, die vor der Säule aufgeschichtet waren. Nach einer Weile brannten die Scheite lichterloh. Zwei andere Priester reichten ihr einen Stabdolch und eine Doppelaxt, beides aus geschmiedeter Bronze und uralt.
    Dann trug ein Priester, den Arminius zum ersten Mal sah und der ein Gewand, das zur Hälfte rot und zur anderen Hälfte blau gefärbt war, ein Lamm herbei. Er hielt es über den Kessel, während Gana dem Tier mit der scharfen Doppelaxt die Halsschlagader öffnete, sodass sein junges Blut vom immer schlaffer werdenden Herzschlag in den Kessel gepumpt wurde. Nachdem das Tier ausgeblutet war, hieb Gana mithilfe der Doppelaxt vom leblosen Körper den Kopf des Lamms ab und warf ihn in den Kessel, in dem inzwischen das Blut zu kochen begann. Nun öffnete sie mit dem Stabdolch den Bauch des Opfertieres und entnahm die Innereien, die sie in eine Bronzeschale legte. Damit ging sie zu Nerthus und verschwand hinter dem Vorhang. Es dauerte eine ganze Weile, bis Gana wieder erschien und nun auch die Innereien, die Nerthus geprüft und offenbar für gut befunden hatte, in den Kessel warf. Sie wartete eine Weile, dann bückte sie sich und hielt ihr Haupt tief in den Kessel, um im Sud des Blutes und der Eingeweide zu lesen.
    Aus dem Abgrund der Erde, aus den Wurzeln der Irminsul schien sich ihre Stimme zu befreien, die beladen war mit dem Wissen der Welt:
    »Zeugt Nacht Zeit
Trägt Nacht Tag
Kreißt der Mond
Reißt der Himmel
Mächtig der Mensch
Ohne Arg der Adler
Beuglos der Bär
Doch aus Dunkelland
Rückt an der Räuber
Will fangen den Adler
Will binden den Bär
Will fesseln
Den Freien
Aber Tag Wächst
Aus Nacht
Schlimmes geschieht
We! wurt skihit –
Oh Irmintyr – König der
Könige – Schmied der Schwerter
Führ uns den Fürsten
Scharf wie die Schneide
Eisig wie Eisen
Feurig wie Flammen
Held der Helden
Heim ins Hirschland.«
    Gana verstummte, erhob ihr Haupt und ging auf Istvaez zu. »Bringst du den König der Krieger?«, fragte sie ihn streng.
    »Ich bringe einen Jüngling, der früher Ergimer hieß und jetzt

Weitere Kostenlose Bücher