Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arminius

Arminius

Titel: Arminius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
Vom Netzwerk:
Magens. Gut, dass dieser leer war – der aufwühlende Rhythmus hätte mit Sicherheit dessen Inhalt aufgewühlt. Schließlich standen sie vor einem Tor, das den Weg ins Innere des Heiligtums freigab.
    Zwei bewaffnete Männer, von Istvaez als ›Hüter‹ angesprochen, erkundigten sich bei dem Priester nach seinem Begleiter. Nachdem er sie unterrichtet hatte, wurde Arminius gefesselt und auf einen kleinen Holzwagen gesetzt, den Istvaez hinter sich herzog, so aber, dass Arminius mit dem Rücken nach vorn saß und dadurch gezwungen war, zurückzuschauen. Er überblickte den Weg, den sie zurückgelegt hatten, nicht aber das, was vor ihnen lag. So sah er nicht, was auf ihn zukam. Jeder Möglichkeit, sich zu verteidigen, beraubt, fühlte er sich äußerst unwohl und vollkommen ausgeliefert.
    Sie durchquerten ein zweites Holzwerk. Nach ein paar Schritten blieb Istvaez stehen, ließ sich auf dem Boden nieder und schloss die Augen. Nichts geschah, nur der eintönige Rhythmus der Trommeln war zu hören. Quälend langsam verrannen viele Stunden. Durch die Stricke und die dadurch erzwungene unbequeme Haltung starben Arminius allmählich die Glieder ab. Als die Sonne sich dem Meer näherte, Wind aufkam und es dunkler und kühler wurde, hatte er das Gefühl zu schweben, denn unterhalb seiner Gürtellinie war sein Körper nun vollkommen taub. Er spürte nur einen stärkeren Wind, der gegen seinen Rücken blies. Hinter ihm musste das Meer liegen, in dessen Brandung sich der Trommelklang einbettete.
    Endlich, als es bereits dämmerte, drang ein menschlicher Gesang, dessen Worte er zunächst nicht verstand, an sein Ohr. Der Ton kam von unten her, wie Wasser aus dem Sumpf. Der Klang erfüllte die Luft. Istvaez wendete den Karren, auf dem Arminius saß, und dieser sah seine Vermutung bestätigt: Vor ihm lag das weite Meer. In der Ferne, dort, wo Himmel und Erde zusammenstießen, befand sich Tyrwal, dort wohnten die Götter und vielleicht auch er eines Tages. Doch noch war es nicht soweit.
    Das Heiligtum thronte auf dem Sporn der Steilküste. Im Halbkreis, dessen Glied Arminius war, knieten zwei Dutzend Männer in langen roten und blauen Gewändern. Vor dem Horizont mit der blutrot im Meer untergehenden Sonne flog langsam eine bronzene Sonnenscheibe auf Rädern, die von zwei goldenen Pferden, die ebenfalls auf Rädern gelagert waren, gezogen wurde. Kunstvoll geschmiedet bewegte sich die Sonnenscheibe in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit von rechts nach links wie von Geisterhand getragen – der Sonnenwagen und die Sonnenpferde im Dienste von Sunna, der Tagbringenden.
    Danach erschienen neun Wesen in schwarzen langen Gewändern, die seltsame Köpfe trugen. Im Profil erinnerten sie mit ihren verhüllten Armen und Händen und den Vogelmasken an übergroße Graureiher. Sie stellten eine Säule auf, die in den Himmel ragte. An zwei Querstreben hingen zwei schwarze Halbkugeln, die mit rot glühenden Feuerzeichen verziert waren. Als die Säule schließlich stand und die neun Wesen niederknieten, bewegte sich die Sonnenscheibe wieder von links nach rechts, nur dass sie diesmal, statt golden zu glänzen, schwarz und matt erschien, so als sei die Sonne verdunkelt. Sie war auch verdunkelt, denn nun brach die Nacht an, und Sunna reiste durch die Unterwelt, während ihre Schwester, Sinthgunt, die Nachtgebende, den Himmel beherrschte.
    Jetzt verstand Arminius den Sinn des Rituals. Er erlebte die Reise der Sonne durch den Tag und durch die Nacht, die sich täglich vollzog und gleich gefährlich blieb, denn die Riesen und der große Fenriswolf wollten Sunna und Sinthgunt, Sonne und Mond, verschlingen, auf dass ewig dunkle Nacht wäre und sie ihre schaudervolle Herrschaft auf Erden errichten konnten. Die neun Wesen aber waren die Asen, die Beschützer der Sonne und des Mondes. Sie hatten die Irminsul errichtet, die Weltachse, die von der Unterwelt über die Mittelwelt, in der sie alle lebten, zur wirklichen Welt führte, zu Tyrwal.
    Nun endlich verstand er die Bedeutung des alten germanischen Gesanges und tauchte in ihn ein:
    »Von Süden die Sonne
Des Mondes Gesell
Schlang die rechte
Um den Rand des Himmels:
Die Sonne kannte
Ihre Säle nicht;
Die Sterne kannten
ihre Stätte nicht;
der Mond kannte
seine Macht noch nicht
Drei Wurzeln
gehen nach drei Seiten
von der Irminsul
Fenris wohnt unter einer
Unter der anderen die Riesen
Unter der Dritten das Schwertvolk.«
    Nachdem Sinthgunt am Fuß der Irminsul verharrte, verstummten die Trommelklänge und

Weitere Kostenlose Bücher