Arno-Linder 1: Papierkrieg
verschwanden. Dann wendete er sich an Augenbraue und sagte ihm etwas auf Russisch, wobei er lächelte. Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. Augenbraue kochte.
»Ich habe ihm gesagt, …«
»… dass ich ihn Augenbraue genannt habe. Jetzt ist er sauer.«
»Das gefällt ihm gar nicht.«
Ich schaute den hässlichen Pitbull an und lächelte. »Augenbraue.« Sein linkes Auge begann zu zucken.
Der Boss schüttelte den Kopf und lachte in sich hinein. »Sie gefallen mir. Sitzen hier ohne irgendwas und bluffen wie ein Großmeister, nur weil Sie ein paar läppische Euro wittern. Und das alles auf die vage Hoffnung hin, dass ich nicht so ein Idiot bin, mich am Schauplatz eines Mordes, der auch ein Wohnhaus ist, blicken zu lassen. Ich weiß nicht, ist das Mut oder Idiotie?«
»Wenn alles gut geht, ist man mutig, wenn nicht, ein Idiot. Wie’s in einem drinnen aussieht, spielt da keine Rolle.«
»Also gut. Wenn sich aber herausstellen sollte, aus welchem Grund auch immer, dass der Wagen wichtig war, sehen wir uns wieder.«
Er blickte auf seine stählerne Armbanduhr. »Wann kann ich die Pistole haben? Ich hoffe, Sie haben die Fingerabdrücke nicht abgeputzt.«
»Nein, ist alles original. Sie können die Knarre morgen um 8 Uhr abends in der Nationalbibliothek abholen. Dort fragen Sie einfach den zuständigen Bibliothekar nach Sitz 117.«
»Und was hindert mich jetzt daran, Augenbraue zuzunicken, nach Hause zu fahren und morgen Mittag von Ihrem langen, schmerzvollen Tod zu hören?«
»Neben Ihrer Intelligenz? Die Tatsache, dass das Buch noch nicht dort ist, wo Sie es abholen können. Es hat bis morgen Abend noch einen langen Weg vor sich.«
Wir erhoben uns und ich begleitete meine Gäste bis zur Tür. Als der Boss draußen war, wandte sich Augenbraue um und ließ ein Butterfly aufschnappen. Darauf hatte ich gewartet und war deshalb ein wenig schneller. Mit meiner Schulter blockierte ich seinen Arm, drückte ihn gegen die Wand und rammte ihm meine Stirn gegen die Nase. Nach all den Schmerzen tat es gut, sein Nasenbein brechen zu hören. Ich gab ihm einen Augenblick, um den Schmerz zu genießen, dann stieß ich ihm zum Abschied mein Knie in die Eier. Augenbraue sackte in sich zusammen und rollte zusammengekrümmt über meine Schwelle. Der Boss drehte sich um, sah mich an, und schüttelte den Kopf. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, hob ich den Butterfly auf, den er liegen gelassen hatte. War ein schönes Stück Stahl, lag gut in der Hand und war so scharf, dass sich einem die Härchen auf dem Handrücken aufstellten. Es war doch noch ein guter Tag geworden.
Ich schüttete den kalten Tee fort und setzte neues Wasser auf. Als es kochte, holte ich meine gusseiserne Arare heraus. Diese Kannen werden in Japan handgefertigt. Ähnlich wie die Nanbu-Tekkis aus der Präfektur Iwate sind sie, um den Tee lange warmhalten zu können, aus Eisen gegossen, von innen emailliert und für ihre Größe sehr schwer.
Nach dem Gießen von 1,5 Litern Flüssigeisen werden die inneren und äußeren Gussformen zerbrochen und die Kannen ausgelöst. Die unebenen Kanten werden geschliffen, die Innenseiten emailliert, und die Außenseiten gestrichen. Nach eingehender Qualitätskontrolle treten sie den langen Weg nach Europa an. Es sind die Kannen der japanischen Teezeremonie. Meine war ein Erinnerungsstück an bessere Zeiten, als das Geld noch nicht so knapp gewesen war. Die Zeit seit damals schien sich nicht in Jahren messen zu lassen.
Als das Wasser kochte, wusch ich die Kanne aus, gab den Tee hinein und goss auf. Dann stellte ich meine Arare auf das Tischchen, rückte es vor mein Fenster und holte meine Decke. Ich öffnete das Fenster.
Im Innenhof wuchs eine Kastanie. Im Frühling, wenn sie die Kerzen ihrer Blüte trägt, übertönt sie den Stadtgeruch. Im Sommer kühlt sie, und wenn der Wind durch ihre Blätter rauscht, hört man die Autos auf der Straße kein bisschen. Jetzt trug sie noch kein Grün, nur ein paar zarte Knospen waren zu sehen. Aber ihre majestätische Gestalt dominierte trotzdem den Blick aus meinem Fenster. Es war draußen noch dunkel, es regnete leicht und der Wind blies kalte, frische Luft zu mir herein.
Ich holte mir die Lester-Young-Aufnahme mit Nat King Cole und Buddie Rich aus dem Jahr 1946 heraus. Ich besaß die Vinylversion aus den 60ern, legte die Platte auf und kuschelte mich in die Decke auf dem Stuhl. Während wir den heißen Tee in kleinen Schlucken tranken, warteten Lester, Nat und ich auf den
Weitere Kostenlose Bücher