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Arno-Linder 1: Papierkrieg

Arno-Linder 1: Papierkrieg

Titel: Arno-Linder 1: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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eine gute Tat.
    Ich drehte den Schlüssel im Schloss, öffnete die Tür, trat ein und wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich bemerkte es an einem unbekannten Geruch, einem noch nie gefühlten Luftzug oder einfach an der Tatsache, dass mir ein Mann in Jeans und grauer Windjacke eine Knarre ins Gesicht hielt. Irgendwas Großes, silbern Glänzendes. Genau auf die Stelle über der Nase, wo sich die Augenbrauen bei normalen Menschen nicht treffen.
    Bei meinem Gegenüber war das nicht der Fall, seine waren buschig, zusammengewachsen und tiefschwarz. Wie sein ölig-welliges Haupthaar. Er war unrasiert und hatte eine schöne Uhr an, in Gold gehalten, mit ebenso goldenem Armband, goldenem Zifferblatt und goldenen Zeigern. Was einem nicht alles durch den Kopf geht, wenn man dem Tod in die Mündung blickt.
    Hinter meinem Gegenüber bewegte sich ein Schatten, stellte sich neben ihn und tastete mich ab. Als er nichts fand, meinte er nur ruhig und kalt: »Setz dich hin, warten wir gemeinsam.«
    Der Schatten wies mit dem Kopf auf meine alte Couch. Er war etwa 1,75 groß und gebaut wie ein Schrank, doch bewegte er sich in seinen Turnschuhen so geschmeidig wie ein Jaguar. Seine Schultern rollten mit den Schritten mit, er federte jede Gewichtsverlagerung perfekt aus und war schnell, sogar wenn er langsam war. Er trug ebenfalls eine Windjacke, seine beige, Jeans und darunter ein gestreiftes Hemd. Seine Haare waren zentimeterkurz und grauschwarz. Beide hatten ausdruckstarke Charaktergesichter.
    Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen und den Mantel aufgehängt hatte, leistete ich seinem Befehl Folge und nahm Platz. Die beiden taten es mir gleich. Die Augenbraue saß mir gegenüber, immer die Knarre im Anschlag. Der Boxer neben mir, aber mit gut einer Armlänge Abstand. Beide waren ruhig und kontrolliert, sie hatten so etwas offenbar schon hundertmal gemacht. Das beruhigte mich enorm, denn das hieß, wenn ich keine groben Fehler machen würde, würde mir auch nichts passieren.
    Der Boxer holte ein Handy aus der Innentasche und telefonierte kurz, er sprach zweifelsohne Russisch.
    »15 Minuten ist Boss da. Wir warten.«
    Die beiden hatten also die ganze Nacht bei mir zu Hause auf mich gewartet, ihr Boss tat sich sowas nicht an. Der war wahrscheinlich gut essen gewesen und hatte sich um Wichtigeres gekümmert. Die Jungs waren wirklich organisiert. Ich fasste Mut, denn wenn sie mich hätten töten wollen, hätten sie das getan, möglichst ohne Spuren zu hinterlassen. Ihr Boss wäre da nie mit aufgetaucht. Das war keine Hinrichtung, sondern eine Demonstration. Sie wollten Eindruck schinden.
    »Wenn wir hier schon rumsitzen, hol ich mir meinen Tee und leg einen Sound auf. Was wollt ihr hören?« Bei diesen Worten stand ich betont ruhig auf. Augenbraue brachte die silberne Pistole mit einer flüssigen Bewegung aus der Schonhaltung, in der er sich befunden hatte, in Anschlag. Der Boxer hatte sich erhoben, was so geschmeidig ausgesehen hatte, als ob Wasser aufwärts flösse. »Nix da, setzen.«
    »Spokoistwie«, sagte ich in meinem Pidginrussisch, in dem nur Nennformen und Infinitive vorkommen, und ging Richtung Kochnische. Ich wartete auf eine raue Berührung oder einen Schlag, aber es kam nichts. Nicht mal ein lautes Wort.
    In der Kochnische holte ich meine Teekanne und drei Schalen und stellte alles auf den Tisch. Die Teekanne, in der ich meinen Alltagstee mache, ist eine monochrome Jameson & Tailor,
1,8 Liter. Früher hatte ich eine schwarze gehabt, heute eine hellbraune. Ich verteilte die Rauchglasschalen, schenkte meine voll. »Tschai, poschalista.«
    Dann drehte ich ihnen meinen Rücken zu und überlegte mir, was ich hören wollte. Ich nippte am Sencha und wartete einen Augenblick. Hinter mir blieb alles ruhig, das war gut. Ich hörte, wie die beiden sich einschenkten. Ich kramte die ›Complete in a silent way‹-Sessions raus, ein samtener, ruhiger Sound. Sicher nicht Miles’ größte Aufnahmen, aber vielleicht die gemütlichsten. Ich wählte die zweite der drei CDs, die, auf der John McLaughlin zum ersten Mal dazukommt. Ich drückte auf Play und Joe Zawinuls Klanggedicht ›Ascent‹ erfüllte den Raum, schmeichelnd und ein wenig unfokussiert.
    Die Wahl war ein Zeichen für meinen Optimismus, denn zum Sterben hätte ich mir was anderes aus dem Plattenregal geholt. Sterben kann man nur zu Mozart. Oder vielleicht noch zu ›You can’t always get what you want‹, in Notfällen.
     

IX
    Es dauerte doch etwas länger, bis der

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