Arrivederci amore, ciao
Spaß, so konnte ich mir eine neue Identität zulegen wie mit gefälschten Papieren. Innerlich. Es erlaubte mir, längere Zeit an meinem wirklichen Leben, das ich zu hassen begonnen hatte, nichts ändern zu müssen. Dieses Leben machte mir Angst. Es beruhte schon zu lange auf Absichtserklärungen, denen ich nie treu geblieben war. Mangels Mut. Im Grunde hatte ich es immer gewusst. Aber es war leicht, in der Kneipe und bei Versammlungen sich selbst und andere zu belügen. Nicht alle waren so wie ich. Im Gegenteil. Ich gehörte jener Minderheit an, die in der Bewegung Freiräume und gesellschaftliche Möglichkeiten gefunden hatte, die die Familie ihnen immer versagt hatte. Hätte ich geahnt, dass der Preis in lebenslänglichem Knast bestehen würde und darin, dass ich einen Freund umlegen müsste, dann wäre ich schön brav zu Hause geblieben und hätte mir geduldig die idiotischen Reden von meinem Alten angehört, das schwachköpfige Gesülze meiner Mutter und die Bigotterien meiner Schwestern.
Elsa vögelte gern morgens, bevor sie das Frühstück für die Gäste richten musste. Ich dachte immer, das sei ihr lieber, weil der Sex dann nicht zu lange dauerte. Sie war dabei hastig und fantasielos. Orgasmus. Kuss auf die Stirn. Zigarette. Nach zwei Jahren betrog ich sie zum ersten Mal, mit einer anderen Vierzigerin. Einer aus Florenz, sie hatte eigentlich Mann und Schwägerin an den Hacken, aber wegen sonnenempfindlicher Haut saß sie die meiste Zeit an der Bar. Gin Tonic und großer Mitteilungsdrang. Ein bisschen Übergewicht, aber ein hübsches Gesicht und ein schelmischer Blick. Sie machte mir unmissverständliche Avancen. Und sie war nicht die Einzige, die anderen waren alle jünger und appetitlicher. Aber ich hatte eben eine Schwäche für Vierzigjährige. Mich berauschte die Vorstellung, in ihr Leben einzudringen und mit ihrer Verletzlichkeit zu spielen. Ich betrog Elsa ohne jedes schlechte Gewissen. Danach kamen andere. Ich war etwas über dreißig und hatte einen Knackarsch, wie Elsa sagte. Die Bar war ein strategisch günstiger Posten, und es brauchte keine großen Verführungskünste. Einen Schlafzimmerblick und ein freundliches Lächeln aufsetzen und immer ein offenes Ohr haben. Auf diese Weise verbrachte ich sieben Jahre. Als Elsa dann unerwartet in den Raum hinter der Bar kam und mich mit einer Deutschen überraschte, war alles vorbei. An ihren Namen kann ich mich nicht erinnern, nicht mal an ihr Gesicht, aber diese Frau hat mein Leben verändert. Dieser eine Fick hat mich auf einen Schlag alles gekostet, was ich hatte. Am nächsten Morgen verließ ich das Hotel, eine Tasche in der Hand und nur noch mit dem Wunsch zu verschwinden. Die ganze Nacht hindurch hatte Elsa mir die Arie der betrogenen Wohltäterin vorgeleiert und geschworen, dass sie sich rächen würde. Sie war schon in Ordnung, aber wenn sie wütend war, wurde sie unberechenbar. Ich konnte gerade noch den Pass eines spanischen Gastes aus Alicante mitgehen lassen, der mir einigermaßen ähnlich sah, dann ging ich zu einem Fälscher, einem Stammgast der Bar, der mein Foto einsetzte, und nahm ein Flugzeug nach Paris. Als ich am Flughafen angekommen war, hatte ich eigentlich nach Mexiko fliegen wollen. Das war mir am logischsten erschienen. Dann gingen drei Stewardessen der Air France vor mir her. Ich blieb stehen und beobachtete sie, bewunderte ihre Ärsche. Und dieser Anblick brachte mich zu der Entscheidung, meinem Leben eine Wende zu geben. Es war Intuition, mehr nicht, aber stark genug, dass ich meinen Fluchtplan änderte, trotz des internationalen Haftbefehls, mit dem ich seit zehn Jahren gesucht wurde. Während des Fluges nahm die Intuition allmählich Form an, wurde zu einer unwiderruflichen Entscheidung, dann zu einem glasklaren Plan, und sobald ich in Paris durch den Zoll war, steuerte ich das erste öffentliche Telefon an. Es war nicht leicht, den Mann aufzutreiben, den ich suchte, aber es gelang mir. Er war überrascht, nach so langer Zeit von mir zu hören, und fragte gleich, ob ich Probleme hätte. Ich seufzte und sagte, ich müsse ihn umgehend sehen.
Wir trafen uns zur Mittagessenszeit in einer Brasserie gegenüber der Metrostation Gobelins. Ich war früher dort und beobachtete eine Weile die Leute, die ein- und ausgingen.
»Enrico, warum bist du zurückgekommen? Was ist passiert? Und Luca?«, fragte er, bevor er aus der Jacke war. Er benutzte unsere Decknamen. Sergio, mein Führungsoffizier aus der Zeit des Pariser Exils, hieß
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