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Arrivederci amore, ciao

Arrivederci amore, ciao

Titel: Arrivederci amore, ciao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Carlotto
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Minozzi erwies sich als unschätzbarer Lehrer. Nach einigen Monaten führte ich die ersten beiden tiefgreifenden Neuerungen in der Geschichte des La Nena ein. Ich schaffte den offenen Wein und die kleinen alten Gläschen ab und besorgte an ihrer Stelle eine Auswahl von Flaschen der besten Weingüter des Veneto, des Trentino und Friauls, dazu einige besonders gute Rotweine aus dem Piemont und der Toscana. Die Duralex-Gläser ersetzte ich durch Kelche und Sektflöten. Natürlich gingen zugleich die Preise hoch, und als Erstes suchten die Rentner sich einen anderen Ort, um ihr Viertelchen für zweitausend Lire zu trinken. Toni und Nena bedachten mich mit stummen, vorwurfsvollen Blicken. Wenn ihre alten Stammgäste sie um eine Erklärung fragten, konnten sie nur allgemein und ausweichend antworten. Toni wiederholte die ganze Zeit wie ein Automat: »Jaja, das sind eben die modernen Zeiten. Nichts ist mehr, wie’s mal war.«
    Als Nächstes erneuerte ich das Angebot am Tresen. Wurst und Schinken, Sandwiches, Tramezzini. Diese beiden Neuerungen und eine gründliche Reinigung des Lokals genügten schon, um nach und nach andere Gäste anzuziehen. Nach den alten Männlein machten sich die Studenten und Alternativen aus dem Staub. Die Osteria geriet eine Zeit lang in die Miesen, doch die Einnahmen aus dem Geldverleih machten den Verlust glücklicherweise mehr als wett. Dank Brianeses Werbung wurden wir allmählich von besserer Kundschaft frequentiert. Sie kamen zum Aperitif vorbei. Ein Glas Prosecco, etwas zum Knabbern. Und ein Haufen guter Ratschläge. Jeder wusste etwas zu empfehlen, vom Wein bis zum Salat. Meistens Namen und Begriffe, die ich noch nie gehört hatte. Leuten eines gewissen Niveaus schien es nur noch ums Geld zu gehen und darum, was sie in den Mund bekamen. Bald war mir klar, dass sich in unserem Land etwas geändert hatte. Und zwar das Verhältnis zum Geschmack. Ich nutzte einen Tisch zur Auslage von Lifestyle-Zeitschriften und Gastronomieführern. Die Gäste fragten ständig danach, um ihren Freunden irgendwelche Restaurantkritiken oder Besprechungen eines Barrique-Weins zu zeigen. Alle gaben sich als Feinschmecker. Diese Veränderungen waren zu viel für Toni und Nena, sie baten Brianese um Erlaubnis, sich vorzeitig zurückzuziehen. Der Anwalt sagte, sie sollten das Gerücht verbreiten, dass sie verkaufen wollten und ich so lange vertretungshalber das Lokal führen würde. Als Erstes stellte ich ein paar junge Männer für den Tischservice ein. Auf Rat einer Antiquitätenhändlerin kleidete ich sie wie die Kellner einer Pariser Brasserie. Trotz meiner Bemühungen und der Qualität von Appetithappen und Weinen blieb das Lokal immer noch eine schlichte Osteria. Schwachstelle war die Küche. Die neuen Gäste vermissten Nenas schwere, fetttriefende Gerichte keineswegs. Cavaliere Minozzi stellte mir eine Speisekarte mit leichten Gerichten, etwas Pasta und vielen Salaten zusammen. Ich fand einen jungen, gerade von der Fachschule kommenden Koch, und so konnte ich innerhalb kurzer Zeit einen Kreis von Stammgästen binden, die regelmäßig zum Mittagessen kamen. Ich schrieb mich bei einem Fortbildungskurs für Sommeliers ein und nahm an sämtlichen Veranstaltungen der verschiedenen Feinschmeckerzirkel teil. Fast allabendlich gab es Weinproben und Vorträge, und ich muss schon sagen, es war ein Vergnügen. Nach APO-Leuten, Guerillakämpfern, Knastbrüdern und Raubmördern befand ich mich endlich unter normalen Menschen, Leuten, die ein absolut normales Leben geführt hatten. Schule und Universität, Berufsausbildung und Ehe. Ich beneidete sie, und dieses neue, der Arbeit gewidmete Leben war derart verschieden von dem, das ich bis zu dem Tag geführt hatte, an dem ich die Witwe ertränkte, dass die Erinnerung daran immer unwirklicher wurde. Ich fühlte mich innerlich ruhiger, entdeckte neue Empfindungen und begann Dinge zu schätzen, die mir bislang egal gewesen waren, Musik zum Beispiel und Kino. Es gab verschiedene Frauen, die mir gefielen. Aber ich wusste nicht, wie ich mich ihnen nähern sollte. Bei denen würden Erpressung und Gewalttätigkeiten nicht funktionieren. Sie gehörten einer anderen Welt an. Die Gerüchte über meine Vergangenheit hatten, von Brianese absichtlich genährt, die Runde durch die Stadt gemacht, aber mir kamen niemals negative Bemerkungen zu Ohren. Neugier gab es allerdings. Große Neugier. Hin und wieder erkundigte sich jemand nach meinen Erfahrungen in der Terroristenszene oder im

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