Arrivederci amore, ciao
Gefängnis. Dann wurde es auf einmal ganz still im Lokal, und alle sahen mich erwartungsvoll an, auf meine Antwort gespannt. Auf diese Situation hatte der Avvocato mich gut vorbereitet, und mit betrübtem Gesicht befriedigte ich die Neugier. In diesem Kreis befanden sich auch frühere Genossen. Öfter kamen sie mit Verschwörermiene auf mich zu und vertrauten mir an, dass sie in dieser oder jener Gruppe der revolutionären Linken mitgekämpft hatten. Jugendsünden. Eines Tages brachte ein gerade aus Venedig kommender Anwalt die Nachricht von den abschließenden Urteilen gegen die Lotta-Continua-Führer um Adriano Sofri wegen des Calabresi-Mordes. Das La Nena war zum abendlichen Aperitif gut gefüllt. Das Urteil wurde mit beifälligen Rufen quittiert, ein paar Damen quietschten vor Freude. Sante Brianese rief zu einem allgemeinen »Gläser hoch!« auf, und plötzlich waren aller Augen auf mich gerichtet.
Ich begriff, was gemeint war. »Das geht aufs Haus!«, rief ich fröhlich und hob eine Flasche Prosecco hoch. Meine Blicke suchten die Exrevolutionäre, und ich sah, wie einer deutlicher zeigen wollte als der andere, dass er die Brücken zur Vergangenheit abgebrochen hatte. Ich lächelte zufrieden. Ich befand mich in guter Gesellschaft.
Der richtige Durchbruch aber kam erst, als ich das Lokal bis um ein Uhr nachts geöffnet halten konnte. Ich musste noch mehr Personal einstellen, aber der Kreis der Gäste wuchs beträchtlich. Die Frühschicht übergab ich einem der jungen Männer, der sich bereits als vertrauenswürdig erwiesen hatte. Ich kam dann gegen elf und blieb bis zum Schluss. Die Abendgäste waren ganz andere als tagsüber. Der eine oder andere ließ sich zwar auch mal mittags sehen, aber viele kamen ausschließlich spätabends, nach dem Essen. Bald war mir klar, dass sie alle mit Brianese verbunden waren, beruflich oder politisch. Oder beides. Auf Rat eines Innenausstatters hatte ich die Neonlampen durch sehr viel gemütlichere Wandleuchten ersetzt. Abends war von der Kneipenatmosphäre nichts mehr zu spüren. Der kluge alte Minozzi hatte mir eine Liste von feinen Spirituosen zusammengestellt, die diese Gäste gern tranken, wenn sie mit ihren Freunden an den Tischen plauderten. Sante Brianese trat als Hausherr auf. Er ging von Tisch zu Tisch, schloss das eine oder andere Geschäft ab und erweiterte den Kreis seiner Unterstützer. Seine Ziele waren klar. Erst für eine Legislaturperiode Regionalratsabgeordneter, dann nach Rom ins Parlament. Ich zweifelte nicht im Geringsten daran, dass ihm das gelingen würde, und nach der Ehrerbietung zu urteilen, mit der sie den Mann behandelten, dachten viele andere dasselbe. In Wahrheit war ihm die Politik herzlich egal. Sie war für ihn nichts als ein Instrument, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Größtenteils illegale. Sein Spezialgebiet waren Wirtschaftsvergehen. Leute, die mit Drogenhandel oder Prostitution zu tun hatten, ließen sich in meinem Lokal nicht blicken. Ausländer ebenso wenig. Auch keine ehrlichen. Brianese hatte begriffen, dass die berühmte »Lokomotive«, wie die Medien es nannten, nämlich das nordostitalienische Wirtschaftsmodell, in dem sich legale und illegale Wirtschaft zu einem einzigen System mischten, die Möglichkeit bot, nicht nur Reichtum, sondern auch eine beträchtliche Machtposition zu erringen. Und diese Möglichkeit wusste er intelligent zu nutzen. Geschäfte, Verbrechen und Politik. Die Mafia moderner Prägung hatte Schule gemacht.
Unter seinen engsten Mitstreitern befanden sich verschiedene Expolitiker und frühere Verwaltungsangestellte, die im Zuge von »Tangentopoli«, der großen Aufdeckung des Schmiergeldystems, in Schwierigkeiten geraten waren. Auch der frühere Kommandant der Steuerfahndung gehörte dazu. Er hatte gerade sechs Jahre abgerissen, wegen Amtsmissbrauch und Korruption. Die Richter waren überzeugt, dass er ein beträchtliches Vermögen hatte auf die Seite schaffen können. Eine Weile hatten sie auch im Ausland nach dem Geld gefahndet, aber vergeblich. Brianese hatte ganze Arbeit geleistet. Die meisten waren Parteigänger der Mitte-Rechts-Politik und träumten davon, es der Verwaltung, die gegen sie hatte ermitteln lassen, heimzuzahlen, und ebenso den politischen Kräften, die daran mitgewirkt hatten. Ein paar andere vertraten Positionen, die auf Eigenständigkeit oder gar völlige Unabhängigkeit der Region zielten, aber abgesehen von der einen oder anderen Diskussion ging es absolut ruhig zu. Den einzigen
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