Arsen und Apfelwein
Jenny halbherzig ab. Sie fühlte keinen Stolz bei der Erinnerung an die Ereignisse, auf die die Ärztin anspielte.
Die Frau erlöste sie. »Nun aber zum Grund Ihres Besuches. Was wollten Sie mit mir besprechen?«
Jenny setzte sich und schilderte die Umstände im Haus Duprais. Als sie geendet hatte, sah sie die Ärztin erwartungsvoll an.
Die ließ sich Zeit. »Hm«, begann sie nach einigen Minuten. »Ziemlich wenig, um eine Diagnose zu erstellen.«
»Jeder Hinweis oder Tipp würde helfen. Wir wissen fast nichts über das Opfer.«
»Es wäre ein Wunder, wenn er sich normal hätte entwickeln können. Mit einem Stiefvater, der ihn offensichtlich ignoriert und einer Mutter, die ihn sogar meidet.«
»Sein biologischer Vater hat sich umgebracht. Depressionen können doch erblich sein, oder?«
»So einfach ist es nicht, aber eine gewisse Veranlagung scheint tatsächlich nach dem heutigen Stand der Wissenschaft erblich zu sein. Und der Junge ist noch dazu doppelt belastet.«
»Doppelt?«
»Nach dem, was Sie mir geschildert haben, hat die Mutter doch gehörig einen an der Waffel.«
Jenny sah sie verblüfft an.
»Na gut, na gut«, winkte die Ärztin ab. »Ich kann es auch wissenschaftlich ausdrücken. Sie leidet möglicherweise an einer Persönlichkeitsstörung. Besser?«
Jenny nickte schwach.
»Der Junge hat sicher nie gelernt, soziale Bindungen aufzubauen. Vielleicht hat er darum seine Mitmenschen benutzt, manipuliert. Er scheint intelligent gewesen zu sein.«
»Und charismatisch«, meinte Jenny. »Sein Lehrer hat von einem Fanklub gesprochen.«
»Typisch für Menschen, die ohne soziales Gefüge groß werden. Er weiß nicht, wie man gleichberechtigte Beziehungen aufbaut, also befiehlt er. Viele politische Führer oder auch Sektenführer haben eine solche Vorgeschichte. Kontrolle dürfte ihm sehr wichtig gewesen sein und vor allem Macht.«
»Macht?«
»Macht über sein Umfeld und seine Mitmenschen. Vielleicht hat er sie dazu gebracht, etwas für ihn zu tun. Aber da bewege ich mich jetzt sehr weit in den Bereich der Spekulation. Kommen Sie wieder, wenn Sie mehr haben.«
»Noch etwas«, meinte Jenny. »Das Hausmädchen scheint eigenartig betroffen zu sein von Marc Duprais’ Tod. Würde sich so jemand wie Marc Duprais mit jemandem vom Personal einlassen?«
Die Ärztin überlegte einen Moment. »Ein simples Verhältnis wäre möglich. Mit den wenigen Informationen, die mir vorliegen, würde ich allerdings eher annehmen, dass er sie manipuliert hat.«
»Zu welchem Zweck?«
»Das herauszufinden, ist Ihr Job. Vielleicht hat er sie erpresst. Möglich, dass er irgendwelche Dienste von ihr forderte oder einfach Stillschweigen über etwas, das sie gesehen hat.«
»Das wäre eine Möglichkeit.« Jenny bedankte sich und verließ die ungewöhnliche Ärztin.
Im Büro traf sie wieder mit Logo zusammen, der sich gerade über Saschas Schulter beugte und auf den PC-Bildschirm starrte.
»Der hatte mehr Geld auf dem Konto, als ich in einem Jahr verdiene.«
»Logo ist neidisch«, warf Sascha ein.
»Ist doch wahr. Unsereins arbeitet schwer für seine paar Kröten und so ein reiches Jüngelchen bekommt das Geld fürs Nichtstun.«
»Hat ihn aber nicht glücklich gemacht«, meinte Jenny. »Was Interessantes dabei?«
»Das Übliche. Die Zahlungen vom Konto seines Vaters. Abbuchungen für Handy und Festnetz. Ein paar Abbuchungen von Internet-Großhändlern.«
»Klärt ab, was er da bestellt hat.«
»Auffallend viele Bareinzahlungen hat er getätigt«, sprach Sascha weiter. »Insgesamt zehntausend Euro in den letzten zwei Jahren.«
»Woher bekommt er Bargeld?«, überlegte Jenny. »Er hat sicher nicht gejobbt, wozu auch.«
Sie sahen sich an. Ein weiteres Rätsel, das gelöst werden musste.
»Lassen wir das jetzt. Überprüf den Mann von der Müller, dem Hausmädchen. Vielleicht hatte sie doch was mit Marc Duprais und es hat ihrem Mann nicht gefallen.«
Sascha blickte auf. »Ich bin mit den Musskajews auch weitergekommen. Mir ist da nämlich etwas aufgefallen. Zum Zeitpunkt des Unfalls war ein jüngeres männliches Familienmitglied in Deutschland. Igor Musskajews. Er wurde kurz darauf wegen unerlaubten Waffenbesitzes verhaftet, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und hat Deutschland verlassen. Ratet, wer vor etwa sechs Wochen wieder eingereist ist!«
»Das ist bestimmt kein Zufall«, meinte Jenny. »Haben wir ein Bild, um es in der Nachbarschaft herumzuzeigen? Vielleicht hat ihn jemand in der Nähe von Duprais
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