Arsen und Apfelwein
doch. Ich erwarte ihn dann.«
Sie legte auf und grinste in die Runde. »Man muss nur höflich mit den Leuten reden.«
Kaum eine halbe Stunde später rief der Empfang an, dass Igor Musskajews unten warten würde.
»Bringt ihn hoch«, ordnete sie an. Fünf Minuten später klopfte es und die Tür ging auf.
Igor Musskajews war ein äußerst gut aussehender Mann in den Dreißigern. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, der maßgeschneidert wirkte, und eine hellgraue Krawatte von Versace. Sein Lächeln war charmant und er trat mit ausgestreckter Hand auf Jenny zu. »Kommissarin Becker? Es freut mich aufrichtig, Sie kennenzulernen. Meine Mutter hat mir mitgeteilt, Sie wollten mich sprechen?«
Logo und Sascha ignorierte er. Seine Stimme war dunkel und wohlklingend. Ein dezenter Duft nach Rasierwasser wehte Jenny entgegen.
Sie musste sich einen winzigen Moment fangen. »Herr Musskajews, bitte setzen Sie sich.«
Er dankte höflich und nahm Platz.
»Sie haben ein starkes Motiv für den Mord an Marc Duprais«, sagte sie geradeheraus. »Zudem sind Sie wenige Wochen vor dem Mord nach Deutschland eingereist. Wo waren Sie zur Tatzeit?«
Wenn er überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. »Ich bitte Sie. Ein Mordmotiv? Die Sache ist Jahre her und wurde gütlich bereinigt.« Der Ausdruck seiner Augen besagte das Gegenteil. »Übrigens«, setzte er verspätet hinzu, »weiß ich nicht genau, wann der Mord stattfand.«
»Sagen Sie mir einfach, wo Sie am Montagnachmittag waren.«
Er griff in die Tasche. Jenny merkte, wie Logo sich anspannte, doch Musskajews zog nur einen kleinen in Leder gebundenen Taschenkalender heraus und blätterte darin. »Ich habe meine Cousinen zum Einkaufen begleitet. Auf der Goethestraße.«
»Teure Gegend.«
Er neigte den Kopf. »Unsere Familie ist nicht arm.«
»Und trotzdem fordern Sie erneut Geld von der Familie Duprais?«
»Hier geht es nicht um Bereicherung, sondern um Gerechtigkeit. Meine Schwester ist schwerer beeinträchtigt als es zunächst aussah.«
»Womit wir wieder beim Motiv wären.«
»Ich bitte Sie.« Er breitete die Arme aus. »Ihn umbringen? Wozu? Ein Toter kann keine Wiedergutmachung mehr leisten.«
Jenny suchte nach einer unverfänglichen Formulierung. »Ich habe einiges über Ihr Land gelesen. Ehre und Familienstolz werden da recht hoch angesehen.«
Er lehnte sich zurück und lachte. »Ehrenmord? Ich bitte Sie, für was halten Sie mich? Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.«
»Und doch sind Sie wegen Körperverletzung vorbestraft?«
»Das ist nicht richtig. Wegen Waffenbesitzes.«
»Ach richtig«, meinte Jenny. »Wegen Körperverletzung wurden Sie nur angeklagt.«
Wieder hob er die manikürten Hände. »Ein Missverständnis.«
»Um was für eine Waffe handelte es sich?«
»Ein Messer. Eine unsinnige Sitte, muss ich zugeben, aber in Kasachstan üblich. Ich hätte bedenken sollen, dass die Sitten hier anders sind.«
Jenny lächelte freundlich. »Ja, vielleicht. Warum sind Sie zurück nach Deutschland gekommen?«
Diesmal zögerte er unmerklich. »Meine Mutter lebt gerne hier. Sie mag das Klima. Jemand muss auf sie und meine Cousinen aufpassen.«
»Was planen Sie hier beruflich?«
Er lehnte sich zurück und schlug ein Bein über das andere. »Ich stehe im Begriff, eine Firma zu gründen, die sich mit Kunst-Import beschäftigt. Ein Ladengeschäft nahe des Doms soll diese Woche eröffnet werden. Allerdings legt mir die deutsche Bürokratie momentan noch einige Steine in den Weg.«
Jenny bemühte sich, mitfühlend dreinzublicken. »Sicher nur eine Frage der Zeit. Sie sprechen übrigens ausgezeichnet Deutsch. Fast akzentfrei.«
»Selbstverständlich. Ich spreche mehrere Sprachen fließend.«
Sie konzentrierte sich auf das eigentliche Thema. »Als ich bei Ihrer Mutter war, waren noch einige andere Männer anwesend.«
Er winkte ab. »Kinder. Junge Männer. Auch auf sie muss jemand aufpassen.«
»Das war’s auch schon für den Moment, Herr Musskajews.«
Umgehend stand er auf und verabschiedete sich höflich. Sascha begleitete ihn hinaus.
Jenny sah auf die geschlossene Tür. »Er gibt der Bezeichnung aalglatt eine ganz neue Dimension.«
»Ich glaub ihm kein Wort«, ereiferte sich Logo.
Jenny lehnte sich zurück. »Ich auch nicht«, meinte sie nachdenklich. »Aber wie weisen wir ihm das nach? Was wetten wir, dass seine Cousinen bezeugen werden, dass er an dem Nachmittag, ach, was sag ich, an jedem Nachmittag mit ihnen zusammen war? Ich rede mit
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