Arsen und Apfelwein
»Kaum. Meine Frau hat nach dem Verlust ihres ersten Mannes eine Art Trennungsangst entwickelt. Sie konnte nicht ertragen, dass ich alleine verreiste. Marc erinnerte sie an den Unglücksfall. Sie liebt ihn sicher, konnte ihn aber nie lange um sich haben. Liebte, muss ich nun wohl sagen.«
Jenny dachte kurz nach. »Das ist alles sehr traurig, Herr Duprais. Aber ich weiß nicht, ob es mit seinem Tod in Verbindung steht. Wichtiger wäre wirklich, etwas über seinen Umgang oder seine Unternehmungen herauszufinden.«
»Können Sie nicht seinen PC untersuchen?«
»Leider bereitet das noch technische Probleme.«
»Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.«
Duprais brachte sie selbst zur Tür, Frau Müller war nirgends zu sehen. Draußen blieben sie einen Moment stehen. Logo sah sich um. »Wie ein Gefängnis hier. Nur sperren sie niemanden ein, sondern die Welt aus.«
Jenny folgte seinem Blick und musterte die hohen Mauern. »Seltsame Familie. Aber was hat das mit dem Mord zu tun?«
»Dir muss ich nicht sagen, dass man die Täter meist im nahen Umfeld findet. Allerdings waren die Eltern im Ausland. Ist das eigentlich überprüft worden?«
Jenny nickte. »Natürlich. Mal schauen, ob einer unserer Psychologen Zeit für mich hat. Da lief einiges schief in der Familie. Die Mutter hat gehörige Probleme, wenn ich mich nicht täusche.«
»Dachte gleich, dass die einen an der Klatsche hat.«
Jenny verdrehte die Augen.
Im Präsidium schickte Jenny Logo ins Büro und machte sich selbst auf den Weg zum polizeipsychologischen Dienst. Sie klingelte an der Tür. Ein junger Mann öffnete und streckte den Kopf hinaus. Sein Gesicht war von Sommersprossen übersät und er zeigte beim Lächeln zwei Grübchen. »Hi«, meinte er.
»Auch hi«, antwortete Jenny und setzte ebenfalls ihr freundlichstes Lächeln auf. »Kommissarin Becker. Ich habe eine psychologische Fragestellung in einem laufenden Fall und bräuchte schnellstens einen Rat. Denken Sie, jemand hätte kurz Zeit für mich?«
»Kommen Sie doch rein«, meinte er und öffnete die Tür. »Ich frage nach. Warten Sie kurz.«
Er verschwand durch einen Durchgang und ließ sie alleine im Empfangsbereich zurück. Es sah aus wie in einer Arztpraxis. Unbehaglich sah sie sich um. Arztpraxen sah sie lieber von außen.
Kurz darauf war er zurück. »Dr. Meier-Matthiesen hat jetzt Zeit für Sie, wenn es nicht zu lange dauert.«
»Dr. … Oh, gut. Danke.«
»Kommen Sie.« Sie folgte ihm einen Gang entlang, bis zu einer grün gepolsterten Tür. Er klopfte an den Rahmen und stieß sie auf. Jenny trat ein. Die Tür wurde hinter ihr zugezogen und sie kam sich einen Moment eingeschlossen vor.
Dann gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht. Die einzige Lichtquelle war eine kleine Leselampe auf einem Schreibtisch. Die Jalousien waren bis auf schmale Schlitze geschlossen.
Ein angenehmer Geruch nach Vanille hing im Zimmer. Sie kniff die Augen zusammen, um die Gestalt hinter dem Schreibtisch besser zu sehen.
»Entschuldigen Sie«, erklang eine warme Stimme. Das Licht wurde etwas hochgeregelt, sodass Jenny die Frau besser erkennen konnte. Die Psychologin war etwa fünfzig Jahre alt, trug eine asymmetrische, perfekt geschnittene Kurzhaarfrisur und eine Brille mit schmalem Goldrand. Gekleidet war sie in einen milchkaffeefarbenen weichen Pulli.
»Frau Becker, setzen Sie sich doch.«
»Danke«, murmelte Jenny und ließ sich in einem bequemen Besuchersessel fallen. »Danke, dass Sie so spontan Zeit für mich haben.«
Die Ärztin lehnte sich zurück. »Zugegebenermaßen reiner Eigennutz. Ich wollte Sie schon lange einmal kennenlernen.«
Jenny schrak zurück. »Mich? Aber wieso? Ich kannte bis eben noch nicht einmal Ihren Namen.«
Die Frau gegenüber lachte. »Den kann sich sowieso niemand merken. Seien Sie mir nicht böse, aber Ihren Namen kennt hier jeder.«
Jenny wurde rot. »Ich verstehe, was Sie meinen.« Sie sah zur Seite.
»Jetzt aber nicht verlegen werden. Das würde mich enttäuschen. Ich weiß, was Sie alles durchgemacht haben, und dachte mir immer, was für eine toughe Frau.«
Jenny wollte nur noch weg. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit, hier mit ihrer Vergangenheit konfrontiert zu werden.
Dr. Meier-Matthiesen bemerkte ihre Beklommenheit. »Entschuldigen Sie, ich bin immer zu geradeheraus. Es ist in Ordnung, wenn Sie nicht darüber sprechen wollen. Ich wollte Ihnen nur schon immer meine Hochachtung aussprechen.«
»Ich wüsste nicht, wofür«, winkte
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