Arsen und Apfelwein
sich einen abgelegenen Fensterplatz. Um diese Uhrzeit war es recht leer und entsprechend ruhig. Am Automaten zog sie sich einen Latte Macchiato und verzog das Gesicht.
Zwanzig Minuten später wollte sie gerade aufbrechen, als ein Schatten über sie fiel. Sie blickte auf und ihr Kinn klappte hinunter. Schnell schloss sie den Mund wieder. Ein Hüne von Mann stand vor ihr, braungebrannt mit langen schwarzen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren und dunklen Augen. Er lächelte knapp. Offensichtlich war er diese Reaktion gewohnt. Sie fasste sich schnell.
»Kevin?«
Er nickte und zog sich einen Stuhl heran. Lässig ließ er sich darauf fallen. Er trug Zivil, schwarze Jeans und ein schwarzes kurzärmliges Hemd, das muskulöse Oberarme freiließ. Eine schwarze Sonnenbrille hatte er auf die Stirn geschoben. »Amelia hat mir gesagt, du würdest die Zeit hier totschlagen.« Er blickte auf ihren Kaffee. »Ist der inzwischen besser geworden?«
Sie lächelte. »Absolut nicht.«
»Dachte ich mir. Also, wie kann ich dir helfen?«
Jenny legte ihm den Fall dar und schloss mit den Worten: »Du siehst, offensichtlich hab ich keine Möglichkeit, direkt zu ermitteln. Also versuche ich herauszufinden, wer an dem Abend in der Botschaft war. Ein paar Prominente konnten wir schon anhand von Zeitungsartikeln identifizieren. Außerdem versuche ich, so viel es geht über die Botschaft bzw. Botschaften allgemein herauszufinden.«
Er lehnte sich zurück. »Jede Botschaft ist anders, so unterschiedlich wie die Länder, zu denen sie gehören. Abhängig vor allem davon, wie reich das Land ist. Es gibt riesengroße, mit haufenweise Angestellten und Luxus in jeder Ausführung. Dann gibt es Botschaften aus armen Ländern mit unterbezahlten Mitarbeitern, die kaum wissen, wovon sie leben sollen. Nicht umsonst kommt es immer wieder zu kriminellen Vergehen. Die Versuchung ist recht groß, wenn man diplomatische Immunität genießt.«
»Und die Botschaft, um die es sich hier handelt? Den Namen des Landes habe ich noch nie gehört.«
»Ich war beruflich schon dort, allerdings vor längerer Zeit. Es handelt sich um ein größeres, recht wohlhabendes Haus. Das Land ist winzig, verfügt jedoch über umfangreiche natürliche Ressourcen. Der Botschafter lebt hier mit seiner Frau. Natürlich hat er mehrere Mitarbeiter und eine Menge Hausangestellte.«
»Existieren Listen der Angestellten?«
»Wohl kaum. Für Hausangestellte gilt nicht mal eine Meldepflicht. Niemand weiß, wer da arbeitet.«
»Also wirklich ein rechtsfreier Raum.«
»Absolut.«
»Kannst du dir vorstellen, was unser Mordopfer da gesehen haben könnte?«
Kevin überlegte einen Moment. »Als Gast sollte er nur zu den offiziellen Besucherräumen Zutritt gehabt haben. Was soll er da schon gesehen haben? Andere Gäste?«
Jenny spekulierte. »Er war nicht gerade als angepasst bekannt. Vielleicht hat er sich weggestohlen?«
»Dann könnte er auf alles Mögliche gestoßen sein. Was meinst du, was ich im Rahmen meiner Arbeit alles mitbekommen habe. Natürlich kann man nicht alle Botschaftsangestellten über einen Kamm scheren, aber viele nutzen ihre Immunität schamlos aus. Jährlich gibt es schwere Verkehrsdelikte, wo du nichts gegen den Verursacher machen kannst, weil er seinen Diplomatenausweis zückt.«
»Ob unsere Leute sich im Ausland auch so benehmen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Der eine oder andere sicher. Aber wenn es rauskommt, wird er hier bestraft. Kannst du mir diese Besucherliste geben?«
Jenny schob ihm das Blatt mit den Namen hin. Er sah kurz darauf. »Dürfte nicht schwer sein. Ich seh mal, was ich tun kann. Ich hab noch einige Kontakte.« Er stand auf. »Gib mir deine Handynummer.«
Sie diktierte sie und er tippte sie in sein winziges Handy. Dann hob er grüßend die Hand und schlenderte davon. Jenny sah sich um. Viele Augen, zumeist weibliche, folgten ihm.
Im Büro warteten Logo und Sascha mit Neuigkeiten. »Die Müller hat angerufen!«, teilte Logo Jenny mit, sobald sie durch die Tür war.
»Ist sie wieder hier?«, wunderte sich Jenny.
»Nein, von den Philippinen aus. Ihr Mann hat ihr ausgerichtet, dass wir sie gesucht haben. Sie war sich keiner Schuld bewusst. Ich habe ihr erst mal nicht gesagt, dass wir wissen, wann sie den Flug gebucht hat, und sie bleibt bei der Geschichte von der plötzlich erkrankten Verwandten.«
»Hast du ihr auf den Zahn gefühlt?«
»Natürlich. Angeblich hat es Erpressungen seitens Marc Duprais’ nie gegeben. Das wäre alles
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