Artefakt
Worte schienen zu schwer und zu groß zu sein, aber er brachte sie trotzdem hervor. »Wenn sie stirbt … Ich werde sagen, dass Sie sie umgebracht haben. Ich werde behaupten, von Ihnen entführt worden zu sein. Und wissen Sie, was mein Vater dann mit Ihnen macht?«
Duartes stand da, hager in seiner grauen Kutte, das Gesicht bleich wie das eines Toten.
»Kinder sprechen viel«, quietschte eine der beiden Kzosek-Frauen. »Sie reden und reden und verraten alles. Manchmal lügen sie, und manchmal glaubt man ihren Lügen.«
»Sei still, Magda«, zischte Duartes.
»Machen wir die Augen blind, die Ohren taub, und den Mund stumm«, fügte die andere Kzosek-Frauen hinzu. Sie kamen näher, aber Duartes stand in der Tür und versperrte ihnen den Weg.
»Von dir will ich ebenfalls nichts hören, Magdalena.«
In Rahil regte sich Unsicherheit unter dem gletscherkalten Eis seiner Entschlossenheit. Hatte er einen Fehler gemacht? Spielte Duartes vielleicht mit dem Gedanken, Magdalenas Vorschlag zu beherzigen und ihn umzubringen?
»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte Rahil, und vielleicht wusste er es tatsächlich. »Aber mir scheint, auch Ihre beiden Begleiterinnen reden gern. Und wer weiß, vielleicht hat doch jemand gesehen, wie wir an Bord Ihres Schiffes gegangen sind. Es ist nicht ganz auszuschließen. Und wenn mein Vater erfährt, dass Sie meine Schwester und mich ermordet haben …«
Zwei oder drei Sekunden entschieden über Leben und Tod.
»Ich bringe dich zurück, Junge«, sagte Duartes. »Dich und deine Schwester. Magda und Magdalena werden sich um sie kümmern. Und du … Wer weiß, was dein Vater mit dir macht, wenn er dich zurückbekommt.«
Was auch immer geschieht, Jazmine muss am Leben bleiben, dachte Rahil. Das ist das Wichtigste.
Dann trat er zur Seite, damit die beiden Kzosek-Frauen Jazmine helfen konnten.
Rahil wanderte durch die Rosenduft , und nach drei Stunden glaubte er, jeden Winkel des Schiffes zu kennen. Duartes hatte sich in sein privates Quartier neben der Pilotenkanzel zurückgezogen, und vielleicht lag er dort wieder in den Armen des Bluters. Oder er schmiedete Pläne für die Rückkehr zum Dutzend und überlegte sich bereits, wie er die Präsenz von Sohn und Tochter des Familienoberhaupts der Tennerits an Bord seines Schiffes erklären sollte. Rahil suchte nach einem Ausweg, während er einen Fuß vor den anderen setzte, durch Gänge, deren Struktur jetzt stabil blieb: vom Heck zum Bug und von dort wieder zurück. Das Summen des Schiffes begleitete ihn, und manchmal begegnete er einer Drohne, die aus einem Zimmer kam und in einem anderen verschwand.
Das Wissen, das während des Sprungschocks in ihm erwacht war, schlief wieder tief unter der Oberfläche seines Bewusstseins, unzugänglich für alle suchenden Gedanken. Er hatte das Gefühl, aus dem Wissen zurückgefallen zu sein in einen Zustand der Ignoranz, in dem er nur versuchen konnte, diesen Mangel durch ein Mehr an Entschlossenheit wettzumachen. Aber Entschlossenheit allein brachte ihn hier nicht weiter.
Seine Gedanken drehten sich im Kreis, während die Zeit tröpfelte und rann und immer wieder die Frage auftauchte, wie es Jazmine ging.
Als er erneut den Bug des Schiffes erreichte, hatte sich die Tür des privaten Quartiers geöffnet, und Duartes, noch immer in seiner grauen Kutte, stand dort mit Magda und Magdalena.
»Wie geht es ihr?«, stieß Rahil hervor und lief die letzten Meter.
»Ihr Zustand ist jetzt stabil«, antwortete Duartes. »Komm, Junge, sehen wir sie uns an.«
Seine Worte klangen seltsam, fand Rahil. Er folgte ihm in einen Seitengang, der nicht zu der Kabine führte, in der er Jazmine zurückgelassen hatte, sondern zur linken Seite der Rosenduft , in einen weißen Raum, in dem seine Schwester mitten in der Luft schwebte. Ein lindgrünes Leuchten trug sie, wie ein Kissen aus Licht. Sie war noch immer blass, aber in ihrem Gesicht gab es keine Flecken mehr, und sie lächelte matt.
»Es kitzelt«, sagte sie. »Das grüne Licht, es kitzelt.«
Rahil war sofort an ihrer Seite. »Wie geht es dir?«
»Besser«, erwiderte Jazmine und rang sich noch ein Lächeln ab. Ihre linke Hand war fest um den langen schwarzen Zopf geschlossen. »Aber ich bin müde.«
»Schlaf, Kind, schlaf«, sagte Duartes erstaunlich sanft, nahm Rahil am Arm und zog ihn zur Tür. Die beiden Kzosek-Frauen blieben in dem weißen Raum, wandten sich den Geräten an den Wänden zu und bedienten virtuelle Kontrollen.
Draußen im Korridor, umgeben von
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