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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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die Geschöpfe unter besonderen Schutz gestellt, denn sie waren sehr selten geworden, und man befürchtete, dass sich fatale Folgen für die Evolution der Schwarmintelligenz ergeben konnten, wenn die Zahl der Tippiki weiter sank.
    Duartes hatte die zwanzig Exemplare von Coltan Jaqiello Tennerit erhalten, und er nutzte sie auf seine Weise: um den Liedern ihres Schmerzes zu lauschen, und durch diese Lieder den Gesängen der Kosmischen Enzyklopädie.
    Rahil fragte sich, ob ein Teil des Wissens, das ihn wie ein reißender Fluss durchströmte, auf die gewaltige Bibliothek der Ho hen Mächte zurückging. Er fühlte sich der Kosmischen Enzyklopädie nahe, als er, noch immer von den fraktalen Schockwellen des Sprungs umgeben, in der Tür stand und beobachtete. Vielleicht kam er ihr ebenso nahe wie Duartes, der vermutlich längst nach ihr süchtig geworden war. Hier, in diesem delikaten Moment, der das Schiff starken strukturellen Belastungen aussetzte und für die Psyche höher entwickelter Lebewesen traumatisch sein konnte, schufen die Schmerzensschreie der Tippiki eine Verbindung zur Kosmischen Enzyklopädie. Und Duartes’ Geist verlor sich in den zauberhaften Klängen des Wissens.
    Aber nicht ganz.
    Umgeben von Myriaden fraktalen Rissen und ebenso vielen Schiffsteilen, die sich aus repetitiven Mustern wieder zusammenfügten, stand Rahil in der Tür und fühlte etwas in seinen Händen, ohne den Blick senken und feststellen zu können, um was es sich handelte. Aber Duartes sah es, als er ein Auge öffnete – vielleicht hatte ihn der Bluter auf die fremde Präsenz aufmerksam gemacht.
    »Du …«, brachte er undeutlich hervor, wie jemand, der aus tiefem Schlaf erwachte. »Du bist nicht …«
    Die Hand in Rahils Kopf löste einen weiteren Gedanken aus, bevor sie sich aus seinem Schädel zurückzog: Die Maske! Ich trage sie nicht mehr. Ich halte sie in der Hand.
    Er drehte sich um und lief durch fraktales Chaos, das neuer Ordnung wich, als die Schockwellen des Sprungs nachließen.

Doch dies erwäge: Jählings naht der Tod,
Und keiner sagt dir, wo noch wann er droht.
    Das Ende eines Weges
    27
    Rahil saß neben seiner zitternden, fiebrigen Schwester, als Duartes in Begleitung von Magda und Magdalena erschien. Die beiden Kzosek-Frauen blieben im Gang stehen und wechselten einige Worte in ihrer Sprache mit leise quietschenden Stimmen. Der Händler, in eine graue Kutte gekleidet, kam mit finsterer Miene herein.
    »Du hast eine verdammte Maske getragen«, sagte er und deutete auf den Gewebelappen in der Ecke. »Autoadaptives mimetisches Gewebe hält keine fraktalen Schockwellen aus, mein Junge. Wer bist du? Heraus damit! Und wenn dies dein erster Sprung war … Wie konntest du dann an Bord unterwegs sein? Wieso bist du nicht einfach umgekippt?«
    Duartes unterbrach sich und kniff die Augen zusammen. »He, ich kenne dich. Ich habe dich schon einmal gesehen. Du bist …«
    »Ja«, sagte Rahil und hielt die Hand seiner Schwester.
    Duartes’ Ärger darüber, getäuscht worden zu sein, verwandelte sich in Erschrecken. »Die Zitadelle in Dymke, auf Caina. Ich habe dich in der Zitadelle gesehen. Du bist …«
    »Ja, ich bin der Sohn des Familienoberhaupts. Ich heiße Rahil. Rahil Tennerit. Und dies ist meine Schwester Jazmine.« Nach den fraktalen Schockwellen des Sprungs und dem Kontakt mit dem latenten Wissen in ihm, ausgelöst vielleicht von den Klängen der Kosmischen Enzyklopädie, fühlte sich Rahil in Körper und Geist taub. Es war ihm gleichgültig, dass Duartes jetzt seine wahre Identität kannte. Wichtig war nur, dass Jazmine wieder gesund wurde. Sie lag mit offenen Augen da, den Blick auf ihn gerichtet, aber er wusste nicht, ob sie ihn sah. »Sie braucht Hilfe. Sie sehen ja, dass es ihr schlecht geht.«
    »Wenn ich gewusst hätte, dass du ein Tennerit bist …« Duartes schnappte nach Luft, und Rahil erahnte die Gedanken, die ihm durch den mumienhaften Kopf gingen.
    »Sie hätten mich nicht mitgenommen; deshalb habe ich die Maske getragen«, sagte Rahil.
    »Ich kann dich nicht auf Greenrose absetzen«, ächzte Duartes, und hinter ihm quietschten die Stimmen der beiden Kzosek-Frauen. Die eckigen Köpfe auf den langen Hälsen neigten sich von einer Seite zur anderen. »Ich muss dich zurückbringen. Coltan würde mir dies nie verzeihen, und meine Geschäfte im Dutzend …«
    Die Taubheit fiel von Rahil ab, und kalte Entschlossenheit packte ihn. Er ließ Jazmines Hand los und stand auf.
    »Wenn Jazmine sich nicht erholt …« Die

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