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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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zusätzlichen Raumdimensionen, und gleichzeitig bildeten sie Brücken zur selben Anzahl von Universen im M-Raum. Was er hier sah, war die Grundstruktur des Existierenden, der Mutterboden, aus dem die Realität wuchs.
    Woher weiß ich das alles?, fragte sich Rahil, während die Welt um ihn herum zerbrach und sich neu zusammenfügte. Fragen flüsterten in ihm, in sein Bewusstsein gelenkt von der Hand, die eben noch an seinen Gedanken gezerrt hatte. Sie schenkte ihm auch Antworten, sanft und unaufdringlich, und eine von ihnen lautete: Du hast dieses Wissen in der Bibliothek der Ägidenbotschaft von Dymke aufgenommen, und durch den Würfel, den Emily dir und deiner Schwester gezeigt hat. Die einzelnen Pixel der Bilder, die du dort betrachtet hast, enthielten zusätzliche Informationen. Mit jedem Wort, das du gelesen hast, strömten weitere Informationen in deinen Geist. Du weißt viel mehr, als du ahnst. Aber du brauchst Zeit, dieses Wissen zu verarbeiten.
    Er wusste auch, was es mit den leisen Tönen auf sich hatte, die hinter Duartes’ Stimme erklungen waren. Ihm wurde plötzlich klar, was der Händler von seinem Vater bekommen hatte.
    Rahil versuchte, sein Wissen zu sortieren und darin eine neue Orientierung zu finden, die es ihm erlaubte, sich in einer verwirrend komplex gewordenen Welt zu bewegen. Seine Schwester brauchte noch immer Hilfe, aber er wusste, dass es während dieser fraktalen Phase des Sprungs in den M-Raum keine Möglichkeit gab, Jazmine zu helfen, nicht einmal dann, wenn die beiden Kzosek-Frauen aus ihren Kokons gekrochen wären. Das war erst nach dem Abklingen der fraktalen Schockwellen möglich.
    Und was ist mit mir?, dachte er und bewegte sich langsam durch eine Welt voller Risse und voller Fäden, die alles zusammenhielten. Wieso gehe ich durchs Schiff und denke? Wieso kann ich mich fragen, warum ich denke?
    Auch darüber hatte er gelesen, zwischen anderen Worten, oder in ihnen: Der erste Sprung lief für das Bewusstsein eines intelligenten Wesens auf eine sehr traumatische Erfahrung hinaus, doch hier war er, klar bei Verstand, soweit er das beurteilen konnte, und Herr seiner Sinne. Vielleicht sogar etwas mehr als sonst, denn er glaubte, besser zu hören und zu sehen, besser zu verstehen. Die Schockwellen schienen eine Bremse in seinem Geist gelöst zu haben; die Gedanken waren schneller geworden, als trüge er Femtomaschinen in sich oder vielleicht eine der Rüstungen, wie sie die Missionare der Ägide verwendeten. Hat Emily eine Rüstung getragen?, dachte er und erinnerte sich so deutlich an ihr Gesicht, dass er die Sommersprossen darin zählen konnte.
    Dann stand er neben der Pilotenkanzel in einer Tür, hinter der eine zweite, größere Tür in den »entschrumpften« Lagerraum führte, und dort sah er Duartes, verbunden mit einem Bluter.
    Das Wesen ähnelte einem knorrigen weißgrauen Baum und hielt ihn in Armen, die so durchsichtig waren wie die eine Kopfhälfte der Kzosek-Frauen. Der nackte Duartes, seine Haut voller Falten und Runzeln, hing schlaff in diesen Armen, den Mund offen, die Augen halb geschlossen. Dutzende von Dornen hatten sich ihm in den greisenhaften Körper gebohrt; sein Blut floss durch die »Äste« des Wesens und kehrte unten durch die »Wurzeln« zurück, angereichert mit Peptiden, die die Blut-Hirnschranke durchdrangen und wie besonders starke Endorphine auf Gehirn und Hypophyse einwirkten.
    Und hinter dem Bluter, der Duartes sanft wie ein Kind in seinen Armen trug, stand das Aquarium, das Rahil kurz vor dem Start gesehen hatte. In dem grünlich schimmernden Wasser schwammen zierliche Kreaturen, die vage Ähnlichkeit mit den Seepferdchen der alten Erde aufwiesen. Aber sie hatten einen metallischen Glanz, schienen aus Gold und Silber zu bestehen, und die Augen in ihren pferdeartigen Köpfen waren rot wie Rubine.
    Rahil stand dort in der Tür, sah die Elektroden und verstand. Duartes hatte das Aquarium unter Strom gesetzt, was den Tippiki – so nannte man diese Wesen auf Caina – Schmerzen zufügte. Leidende Tippiki schrien, und für menschliche Ohren klangen die Schreie wie zarte Töne, die einen leisen Widerhall in ihren Herzen und Seelen schufen. Drei der insgesamt etwa zwanzig Tippiki waren bereits tot.
    Rahil wusste, was die Ägide vermutete: dass die Tippiki halb intelligent waren, Teil einer Schwarmintelligenz, die sich im Großen Rund entwickelte, dem Ozean auf der Südhalbkugel von Caina. Eine Vereinbarung zwischen der Regierung von Cai na und der Ägide hatte

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