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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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aberkannt. Sie hat dich eine illegale Kopie genannt und wollte dich deinstallieren lassen.«
    Rahil musterte seinen Vater, dessen Gesicht durch den flackernden Schein der Feuer etwas Groteskes bekam. Wie konnte er davon wissen? Er versuchte, sich daran zu erinnern, wie viel Zeit zwischen der Flucht von Eckrote und der Begegnung beim blauweißen Barrierestern vergangen war. Zeit genug, um seinem Vater Gelegenheit zu geben, die neuesten Informationen zu erhalten? Woher hatte er sie erhalten? Und von wem?
    Zwei Vogelmenschen kamen von dem großen Nest weiter oben herab, flogen dicht über sie hinweg und sangen dabei etwas, das der Interpreter an Rahils Kragen offenbar nicht übersetzen konnte, denn das kleine Gerät schwieg.
    »Sie werden auf uns aufmerksam«, sagte Sammaccan und rückte seine Kapuze zurecht. »Wir sollten besser gehen.«
    Rahil vertraute seinem Instinkt. »Zum Konsulat«, sagte er.
    Sie gingen über eine schwankende Hängebrücke, und Rahil spürte dabei den Blick seines Vaters im Rücken fast wie einen physischen Druck zwischen den Schulterblättern. Er vergewisserte sich, dass die Waffe noch immer in seiner Hosentasche steckte. Als sie sich den grünen und blauen Gebäuden näherten, sah Rahil, dass sie im Gegensatz zu den anderen Fenster und Türen aufwiesen und nicht einfach nur leere Öffnungen mit Flugstangen als Landehilfen für die Vogelmenschen. Einige Fenster und Türen standen offen, und drinnen war es dunkel. Nirgends brannte Licht.
    Der Hängebrücke folgte eine kleine Plattform mit einer Treppe, die zum ersten Gebäude führte, und dort blieb Sammaccan stehen und schnupperte.
    »Ich rieche Blut«, zischte er.
    Rahil griff in die Tasche und schloss die Hand um den Kolben der Waffe.
    Sie brachten die letzten Stufen der von mehreren dicken Tauen gehaltenen Treppe hinter sich, und als sie zum offenen Eingang des ersten Gebäudes traten, über dem das Licht von zwei Laternen auf die Hoheitszeichen der Ägide fiel, nahm es Rahil ebenfalls wahr: den süßlichen Geruch von vergossenem Blut.
    Zwei Schritte hinter der offenen Tür, von draußen gesehen nur kleine Haufen in der Düsternis, lagen vier Vogelmenschen, einer von ihnen zerfetzt. Mehrere kleine Explosionen hatten seinen Körper regelrecht zerrissen; Blut und Gewebe waren auf den Boden und an die Wände gespritzt. Die anderen drei Toten lagen mit halb ausgebreiteten Flügeln bei den Fenstern, als hätten sie versucht zu fliehen. Bolzen steckten in ihren Rücken, und es sickerte noch immer Blut aus den tödlichen Wunden.
    »Pressluftgeschosse«, sagte Sammaccan leise und deutete auf den zerfetzten Toten. Wie auf Zehenspitzen ging er zu den anderen Leichen und berührte sie. »Noch warm. Sie sind gerade erst gestorben, vor wenigen Minuten.«
    »Vielleicht habe ich die Mörder gesehen«, erwiderte Rahil. »Die großen gewölbten Spiegel, an denen wir vorbeigekommen sind … Ich habe Menschen gesehen, einer von ihnen in Uniform, die anderen in ziviler Kleidung mit glänzenden Abzeichen an den Schultern. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber sie könnten aus dieser Richtung gekommen sein.«
    Licht von Feuern und Laternen kam durch Fenster und Türen, und allmählich gewöhnten sich Rahils Augen an die Düsternis. Ein langer Tresen stand wie ein Raumteiler in der Mitte des Eingangszimmers, mit zahlreichen Ablagefächern, in denen noch einige analoge Datenträger lagen. Die anderen waren bei den Toten und zwischen umgekippten Stühlen verstreut.
    »Jemand scheint etwas gesucht zu haben«, sagte Coltan. »Wir sollten besser von hier verschwinden, Junge. Wenn bekannt wird, was hier passiert ist, und wenn man uns damit in Verbindung bringt, geraten wir in große Schwierigkeiten, gelinde gesagt. Falls du es nicht wissen oder dich nicht daran erinnern solltest, mein Sohn: Die Vogelmenschen halten nichts von langen Gerichtsverhandlungen. Wenn sie meinen, dass der Fall klar ist, machen sie kurzen Prozess.«
    Sammaccan war hinter den Tresen getreten.
    »Das hier solltest du dir ansehen, Rahil Tennerit«, sagte er.
    Rahils Unbehagen verdichtete sich, als er zum Tresen ging und dabei den Resten des von Pressluftgeschossen auseinandergerissenen Vogelmenschen auswich.
    Hinter dem Tresen lagen zwei tote Menschen, und einer von ihnen war er.
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    Rahil sah sich selbst: die Augen groß und leer, das Gesicht bleich, der Mund wie zu einem lautlosen Schrei geöffnet, im Hals einen Bolzen. Wie bei den Vogelmenschen kam noch immer Blut aus der Wunde, tropfte auf den

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