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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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aufmerksam und stell mit wachem Verstand infrage, was du für Gewissheiten hältst. Sieh über den Horizont des Scheins hinweg. Und vergiss nie: Oft befindet sich die Wahrheit dort, wo du sie am wenigsten vermutest.
    Es waren weise Worte, zweifellos, aber Rahil argwöhnte, dass sie ihre volle Weisheit nur bei jemandem entfalten konnten, der sein Denken mit neuronaler Stimulation beschleunigte. Er erinnerte sich an die manipulierte Rüstung, an die Zerstörungen in der Ägide-Station bei Ganska, an den dortigen Kurator und die Hinweise auf den Feind, der angegriffen hatte, um Rahils Wiederherstellung zu verhindern. Er dachte an den Flug ins Kick out, geschaffen von einem Polarisator der Leskovar, an das Schiff, dem sie im M-Raum begegnet waren und das einen Disruptor gegen sie eingesetzt hatte. Wenn es ihm gelang, all das in Verbindung zu bringen, fand er vielleicht eine Erklärung für das, was hier und jetzt geschah. Aber es war zu kompliziert für normales, langsames Denken. Die einzelnen Teile lagen vor ihm, ließen sich aber noch nicht zu einem vollständigen Bild zusammenfügen. Es fehlte nach wie vor die Möglichkeit, eine kausale Brücke zu bauen, die von den Ereignissen vor einem knappen Jahr bis hierher reichte. Vielleicht wäre es ihm gelungen, einige Teile zusammenzusetzen, wenn er genug Zeit gehabt hätte, Kanten zu glätten und Stellen zu finden, die zueinanderpassten. Aber immer wenn er glaubte, der Antwort auf eine wichtige Frage näher zu kommen, geschah etwas, das neue Fragen aufwarf.
    Etwas brach unter ihm, und instinktiv hielt er sich an einem Seil fest. Es gehörte zu der langen Hängebrücke, über die sie unterwegs waren, und Rahil beobachtete, wie Stücke des morschen Bretts, das unter ihm nachgegeben hatte, in die Tiefe fielen.
    »Du solltest besser aufpassen, Rahil Tennerit«, sagte Sammaccan, der sich die Kapuze wieder tief in die Stirn gezogen hatte.
    Flammen züngelten nicht weit entfernt, in sicherem Abstand von den Seilen und Tauen, und Spiegel warfen ihren flackernden Schein zu dem Nest über ihnen, das aus mindestens hundert Hütten bestand, manche von ihnen eckig und lang, andere rund und klein. Vogelmenschen blickten aus Öffnungen in den bunten Wänden oder flogen, teilweise mit hoher Geschwindigkeit, durch das netzartige Gewirr aus Seilen und Stricken, orientierten sich dabei mithilfe von Pfeiflauten.
    Kurz darauf erreichten sie die Treppen und Stege, die sie zuvor vom Ehrenmal aus gesehen hatten. Bei dem breiten Felsvorsprung, der wie eine Nase aus der Schluchtwand ragte, war es zu einer Veränderung gekommen. Ein Flugboot hatte dort angelegt, mit kurzen, dreieckigen Tragflächen und mehreren zylinderförmigen Heliumtanks an Bug und Heck. Ein kleiner, von einem Verbrennungsmotor angetriebener Propeller und ein Flugruder ermöglichten die Steuerung des schwebenden Boots.
    »Äguizabel hat Besuch erhalten«, sagte Coltan hinter Rahil.
    »Fragt sich nur, von wem«, erwiderte Rahil. Als sie die erste von mehreren wackligen Treppen hinter sich brachten, die nur von einigen dünnen Seilen gehalten über dem Nichts hingen, hielt er an dem Flugboot nach Zeichen oder Markierungen Ausschau. Die Geräuschkulisse der Stadt hatte sich nicht verändert; nichts deutete darauf hin, dass die Toten im Konsulat der Ägide gefunden worden waren. Aber vielleicht steckte eine Taktik der Sicherheitsorgane von Lautaret dahinter. Etwa eine halbe Stunde war vergangen. Möglicherweise hatte man die Leichen inzwischen entdeckt, aber nichts darüber verlauten lassen, um die Suche nach den Mördern nicht zu gefährden. War eine Falle vorbereitet, die beim Verwahrer zuschnappen sollte?
    Sie traten vom letzten Steg auf den Felsvorsprung. Das Flugboot schwebte nur einige Meter entfernt neben den Felsen und schwankte leicht im schwachen Aufwind, der von einigen Feuern weiter unten kam. Durch die Seitenfenster sah Rahil mehrere Sitze, alle leer. Er erinnerte sich an die Idee, die ihm gekommen war, als sie die Stadt betreten hatten.
    »Wir könnten ein solches Transportmittel benutzen«, sagte er leise. »Mit einem solchen Flugboot könnten wir nach Norden fliegen, oder mit einem der Luftschiffe. Damit ließe sich das Artefakt in wenigen Tagen erreichen.«
    Sammaccan näherte sich dem Höhleneingang, aus dem mattes Licht kam, und schnupperte. »Ich rieche …«
    Rahil trat vorsichtig näher, gefolgt von seinem Vater. »Was riechst du?«, flüsterte er.
    »Fremde«, antwortete Sammaccan ebenso leise. »Es sind Fremde

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