Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst

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haben mich gelähmt!«
    » Sie haben mich bedroht.«
    »Lassen Sie mich los!«
    »Erst möchte ich Ihnen etwas erklären, Sammaccan«, sagte Rahil und hatte plötzlich Mitleid mit dem Polymorphen, der kaum etwas von den Verhältnissen außerhalb seiner Heimatwelt Heraklon wusste.
    »Sie sollen mich loslassen!«, ereiferte sich das Geschöpf im Fesselfeld. »Wie können Sie es wagen! Ich bin Sohn der Ersten Mutter von Munraha …«
    »Das wollte ich Ihnen gerade erklären, Sammaccan. Woher auch immer Sie kommen und wer auch immer Sie in Ihrer Heimat sind – in der Ägide spielt das alles keine Rolle.«
    »Ich will …«
    Rahils Mitleid wich Ärger. »Sie sollen mir zuhören! Sie sind hier an Bord dieses Schiffes, um mir bei meiner Mission zu helfen. Stattdessen bereiten Sie mir Probleme. Ich bin Exekutor. Ein Wort von mir, und Sie verlieren Ihren Status als Assistent der Ägide. Ein weiteres Wort, und Sie werden nach Heraklon zurückgeschickt, allein, in Schimpf und Schande.«
    Der Stachler bewegte und veränderte sich nicht – das Fesselfeld verhinderte nicht nur Bewegungen, sondern auch Strukturwandel –, aber ein leises Quieken kam von ihm.
    Rahil überlegte. Wie sollte er etwas erklären, dessen volle Bedeutung er selbst erst einige Jahre nach Beginn seiner Ausbildung vor einem Jahrhundert erkannt hatte? »Die Ägide wurde vor sechshundert Jahren gegründet, Sammaccan«, sagte er. »Nach einer interstellaren Katastrophe, die einen Teil der Menschheit betraf. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom Ereignis .« Rahil zögerte und fragte sich, ob er die Hintergründe des Ereignisses schildern sollte. Er entschied sich dagegen, weil es zu weit geführt hätte. Vielleicht war später Zeit dafür. »Was uns Menschen betrifft, waren damals zweihundertdrei Welten in neunundachtzig Sonnensystemen betroffen. Viele ihrer Bewohner starben. Die planetaren Infra- und Datenstrukturen brachen zu sammen. Auf den betroffenen Planeten endete die Zivilisation. Barbarei breitete sich aus. Auch auf Heraklon.«
    Rahil beobachtete den Polymorphen und hoffte, dass er aufmerksam zuhörte. »Dreizehn Sonnensysteme diesseits des Sagittariusbruchs – damit ist eine besondere Konstellation im All gemeint – blieben damals von der Katastrophe verschont. Zusammen mit den ebenfalls nicht vom Ereignis betroffenen Welten der sieben anderen Völker gründeten sie die Bruch-Gemeinschaft, aus der Jahre später die Ägide hervorging. Wissen Sie, was › Ägide ‹ bedeutet, Sammaccan?«
    Der Polymorphe schwieg.
    »Das Wort bedeutet Schutz, Obhut. Die Ägide schützte, was von unserer Zivilisation übrig war, und traf eine Vereinbarung mit den Hohen Mächten.«
    Rahil legte erneut eine kurze Pause ein und dachte an die Unzulänglichkeit von Worten, erst recht dann, wenn Sprecher und Zuhörer aus zwei völlig verschiedenen Kulturen kamen. Komplexe Konzepte vermittelte man am besten mithilfe von zerebralen Schaltkreisen, die damals, während seiner Ausbildung, noch nicht zur Verfügung gestanden hatten. »Hören Sie mir zu, Sammaccan?«
    Eine Mischung aus Quieken und Knurren kam aus dem Fesselfeld. »Ich höre.«
    »Die Vereinbarung mit den Hohen Mächten sah Folgendes vor«, fuhr Rahil fort, sich dessen bewusst, dass er eine sehr komplizierte Angelegenheit auf geradezu absurde Weise vereinfachte. »Die Menschheit wird in den Kreis der Hohen aufgenom men und erhält Zugang zur Kosmischen Enzyklopädie, wenn sie es schafft, in sechs Jahrhunderten stabilen Frieden zu erreichen und die Gefallenen Welten zur Zivilisation zurückzuführen.«
    »Deshalb brauche ich Waffen«, warf Sammaccan ein. »Um die Frauen von Munraha zu zwingen, zivilisiert zu werden.«
    Rahil schüttelte den Kopf. »Zivilisation und Waffen vertragen sich nicht besonders gut«, sagte er, obwohl diese Worte nur die halbe Wahrheit waren, vielleicht noch weniger. »Vor sechshundert Jahren begann die Restauration. Die Ägide nahm vorsichtigen Einfluss auf die Entwicklung der Gefallenen Welten. Wir …« Einmal mehr zögerte Rahil. Was wusste und verstand Sammaccan von Demokratie und Diktatur, von Oligarchien und Autokratien? War er alt und erfahren genug, um zu verstehen, welche Erfahrungswelten sich hinter dem Wort »Technoschock« verbargen? Konnte er, wenn man seine Herkunft berücksichtigte, eine Vorstellung von soziologisch-ökonomischen Entwicklungsmustern haben? »Wir müssen verhindern, dass erneut Chaos ausbricht wie damals nach dem Ereignis . Wir steuern die gesellschaftlichen