Artefakt
Entwicklungen behutsam in die richtige Richtung …«
»Wer entscheidet darüber, was richtig und falsch ist?«
Gute Frage, dachte Rahil. Damals hatte er sie selbst gestellt, und die Antwort – beziehungsweise die Antworten, denn es gab mehr als nur eine – hatte ihm nicht gefallen. Es war der Anfang des steinigen, bitteren Wegs der Desillusionierung gewesen. Was blieb, war ein hehres Ideal, kaum mehr als ein Zerrbild der Realität, und die Pflicht. Es war wichtig, die Pflicht zu erfüllen; dieser Gedanke gab Rahil seit hundert Jahren Halt.
»Unsere Erfahrung«, sagte er schließlich, und auch das war nur die halbe Wahrheit. »Die Ägide versucht, die Gefallenen Welten auf das Niveau der Bruch-Gemeinschaft zu heben, aber das braucht seine Zeit.«
»Sind sechshundert Jahre nicht Zeit genug?«, fragte Sammaccan.
»Nicht, wenn es darum geht, bestimmte Prinzipien zu wahren.«
»Prinzipien, deren Einhaltung die Hohen Mächte verlangen?«
»Ja«, antwortete Rahil. »Menschliche Ethik und Moral spielen dabei ebenfalls eine große Rolle.« Er hörte seine eigenen Worte und konnte sie kaum glauben. Warum sage ich so etwas?, fuhr es ihm durch den Sinn. Ist es nicht besser, Illusionen vorzubeugen und gleich den Blick für die manchmal so bittere Wahrheit zu öffnen?
»Welche Prinzipien?«
»Selbstbestimmung«, sagte Rahil. »Selbsterkenntnis und Freiheit der Gemeinschaft und des Einzelnen.«
»Freiheit«, knurrte der Stachler im Fesselfeld. »Die Männer in Munraha sind unfrei. Die Ägide ist mächtig«, betonte er noch einmal. »Sie verfügt über alle notwendigen Mittel, um uns zu befreien. Warum verzichtet sie darauf? Warum nutzt sie ihre Möglichkeiten nicht, um ihre Vorstellungen von Moral und Ethik bei uns durchzusetzen? Vieles könnte besser werden.«
Die Worte klangen erstaunlich intelligent und passten nicht unbedingt zu Rahils Vorstellung von einem dummen und ignoranten jungen Mann, mit einem Horizont, der auf den einer Gefallenen Welt beschränkt war.
»Weil wir nicht direkt eingreifen dürfen«, sagte Rahil. Das war der wichtigste Punkt, der ihn – so die Erinnerungen des Images – in den letzten Jahrzehnten besonders belastet hatte. Hier der Dienst, die Pflicht, dort das Elend, und dazwischen, der schmale Grat, auf dem die Missionare der Ägide wandelten. Im Gegensatz zu den Exekutoren, die weitgehend nach eigenem Ermessen handeln konnten. Es ist eine Chance, dachte Rahil. Was kann ich auf Heraklon bewirken, wenn ich so vorgehe, wie ich es für richtig halte, ich allein? Ein verlockender Gedanke, unter anderen Umständen, wenn das Artefakt nicht existiert hätte. »Wir dürfen niemandem unseren Willen aufzwingen. Und was unsere Mittel betrifft … Überlegene Technik darf nicht in gewissenlose Hände fallen. Dadurch könnte neues Chaos entstehen, neues Elend. Stellen Sie sich vor …« Er suchte nach einem passenden Vergleich. »Stellen Sie sich vor, der Ersten Mutter von Munraha, oder einer der anderen Mütter, stünde eine polychrome Schmiede zur Verfügung. Damit meine ich eine, die auf die Produktion beliebiger Objekte und Gerätschaften programmiert werden kann.«
»Eine Schmiede, die alles anfertigen kann?«
»Alles, ja. Stellen Sie sich vor, die Mütter von Munraha könnten sich all die Dinge produzieren lassen, die sie sich wünschen. Was wäre das Ergebnis?«
Sammaccan schwieg zwei oder drei Sekunden. »Es würde bedeuten, dass die unterdrückten Männer von Munraha alle Hoffnung auf Freiheit aufgeben müssten. Vielleicht würden die Mütter ihre Herrschaft sogar auf ganz Hrkln ausdehnen. Und darüber hinaus«, fügte er entsetzt hinzu.
»Deshalb bekommen die Gefallenen Welten keine hochentwickelte Technik von uns«, sagte Rahil und hoffte, dass Sammaccan verstand. »Und dieses Prinzip bedeutet auch, dass Sie keine Schmiede von uns erhalten, nicht einmal eine monochrome.«
Der Polymorphe schwieg.
»Aus den gleichen Gründen blieb der Ägide bisher der Zugang zur Kosmischen Enzyklopädie und den technischen Wundern der Hohen Mächte verwehrt«, sagte Rahil. »Der Technoschock könnte auch bei uns große Umwälzungen hervorrufen und unsere Entwicklung in die falsche Richtung lenken.« Das behaupten die Krion und die anderen jedenfalls, fügte er in Gedanken hinzu. Aber es ist Unsinn. So wie auch unsere Zurückhaltung den Gefallenen Welten gegenüber oft übertrieben ist. Es sind alles nur halbe Wahrheiten, und ein Teil davon kommt Lügen gefährlich nah.
»Sie können mir also nicht
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