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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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beruhigt: Hinter den auf Heraklon operierenden Mittelsmännern der Gefallenen Welten und insbesondere des Dutzends steht jemand, der › Eminenz ‹ genannt wird. Und nein, es ist nicht Ihr Vater. Er starb vor siebenundachtzig Jahren.«
    Vor siebenundachtzig Jahren. Rahil saß im Büro des Botschafters und spürte deutlich, wie der Wind heiße Mittagsluft durchs Fenster trug, aber er hatte plötzlich das Gefühl, auch noch an einem anderen Ort zu sein, von dem ihn Distanz und Zeit trennten.
    »Ich kann Ihnen nur raten, vorsichtig zu sein und Personen, die Sie nicht kennen, mit gesundem Misstrauen zu begegnen«, fügte Ellworth hinzu.
    Der Schein trügt, erinnerte sich Rahil an die mahnenden Worte des Gesserat.
    Er stand auf. »Ich danke Ihnen, Botschafter. Wenn wir uns jetzt die Ausrüstung ansehen könnten …«
    Die Hitze lastete schwer auf der weißen Stadt Couron und flimmerte über den Steinen des Platzes. Rahil und Thresa versuchten, so lange wie möglich im Schatten zu bleiben, aber um das Mutterhaus zu erreichen, mussten sie den Platz überqueren, und dort waren sie der Sonne ausgesetzt, die zwar nicht mehr im Zenit stand, aber noch immer gnadenlos vom Himmel brannte.
    Seit sie die Botschaft der Ägide verlassen hatten, achtete Rahil darauf, immer mindestens einen Schritt hinter Thresa zu gehen und den Kopf wie demütig zu senken, wenn sie anderen Frauen begegneten. Thresa trug inzwischen eine Rüstung, ein einfaches Modell, dessen regenerative Fähigkeiten begrenzt waren und das hauptsächlich dazu diente, ihr eine schnelle Anpassung an Hitze und Kälte zu ermöglichen. Außerdem waren sie beide mit primären Neutralisatoren ausgestattet, auf ihre Biosignaturen fixiert und dazu imstande, die absolute Interdiktion, die auf Heraklon den Einsatz von Technik oberhalb der Stufe vier unmöglich machte, in eine selektive zu verwandeln. Es gab sogar eine Kommunikationsverbindung zwischen den beiden Rüstungen – sie konnten sich ohne Worte verständigen.
    In bunte Gewänder gekleidete Frauen saßen im Schatten der Bogengänge und Arkaden am Rand des großen Platzes, tranken kühle Getränke und ließen sich von Männern bedienen, die weite graue Hemden und Hosen trugen. Rahil sah sie nur aus dem Augenwinkel, aber er bemerkte die flachen, manchmal irgendwie unfertig wirkenden Gesichter, hauptsächlich bei den Männern, was ihn daran erinnerte, dass sie es hier mit Polymorphen zu tun hatten.
    Vor ihnen ragte das Mutterhaus auf, ein mehrstöckiger Palast, gesäumt von sechzehn Säulen aus schneeweißem Marmor. Wie Stein gewordene Arme ragten sie auf, und die Hände trugen eine Kuppel aus fototropem Glas, das im Gleißen der Nachmittagssonne dunkel geworden war. Zwischen den Säulen standen groteske Gestalten, die Rahil zunächst für bunt bemalte Statuen von Fabelwesen hielt, bis sich die beiden rechts und links neben dem Eingang bewegten, als er Thresa zum breiten Eingang folgte. Es waren polymorphe Wächter, bewaffnet mit Lanzen und Speeren, und sie deuteten eine Verbeugung an.
    Drinnen summten Klimaanlagen, mit Elektrizität betrieben, die von der Ägide konzipierte Wind- und geothermische Kraftwerke außerhalb der Stadt lieferten. Eine Frau in einem langen türkisfarbenen Gewand trat ihnen entgegen.
    »Willkommen«, sagte sie. Ihr Gruß galt allein Thresa. »Die Erste Mutter erwartet Sie bereits.«
    Sie gingen durch einen langen, kühlen Flur mit kleineren Säulen zu beiden Seiten, wie die großen draußen aus dem Boden wachsenden Armen nachempfunden, deren Hände die Decke zu stützen schienen. Die Frauen, denen sie unterwegs begegneten, grüßten respektvoll, und die Männer wichen stumm beiseite und hielten wie Rahil den Kopf gesenkt. Sie kamen an zahlreichen Büros und Arbeitszimmern vorbei, und durch eine große geöffnete Doppeltür sah Rahil einen Tagungssaal mit einem Podium in der Mitte und kreisförmig ansteigenden Sitzreihen. Neben dem Eingang stand eine Frau in einem glitzernden Hosenanzug, in der rechten Hand eine Lanze, den Schaft auf den Boden gestützt. Sie bemerkte Rahils Blick und zischte.
    »Was erdreistet er sich?«, übersetzte das Kommunikationssystem der Rüstung.
    Die Wächterin hob ihre Lanze und wollte damit wie mit einem Stock zuschlagen, aber die Frau, die Thresa und Rahil in Empfang genommen hatte, hob die Hand und schüttelte den Kopf. »Auch er ist ein Gast der Ersten Mutter.«
    Schließlich erreichten sie im rückwärtigen Teil des Mutterhauses einen Raum, der sich auf mehreren,

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