Artefakt
es gehört, ein leises Brummen, wie der Anfang einer Melodie. Und genau das war es: der erste Ton von vielen, vertraut wie etwas, das zu ihm gehörte.
Coltan wurde immer ungeduldiger. »Junge, mach endlich die Tür auf.«
»Es gibt noch andere Fragen, Vater. Zum Beispiel nach der Identität deines Helfers bei den Hohen Mächten. Und auch warum er dir geholfen hat. Hast du nie darüber nachgedacht?«
»Halb gesprochen und halb gesungen …«, sang Jazmine leise und ahmte dabei eine andere Stimme nach.
Für einen Moment dachte Rahil, dass Emily vor ihm stand, eine Emily, die ihre Haare verloren und Narben im Gesicht hatte.
Doch es war Jazmine, die fragte: »Erinnerst du dich, Rahil?«
»Ja, ich erinnere mich, Jaz.« Und er sang mit ihr:
»Halb gesprochen und halb gesungen,
Hat es nur tönern und hohl geklungen.
Aber geflüstert und gedacht,
Entfaltet es seine ganze Macht.«
Rahil streckte die Hand aus. »Komm, Jaz. Lass uns das Herz des Artefakts betreten.«
Mit der anderen Hand griff er nach der Klinke und drückte sie nach unten. Die Tür öffnete sich.
Der Sessel stand auf einem Podium in der Mitte des Raums und war nach hinten geneigt, sodass die Gestalt darin – der Mann, der Humanoide – mehr lag als saß. Die Arme ruhten nicht auf den Lehnen, sondern in darin eingelassenen Mulden, und die grauen Finger steckten in dafür vorgesehenen Öffnungen. Ein physisches Interface, dachte Rahil, als er sich dem Podium lang sam näherte und die Einzelheiten schon mit seinen inneren Augen sah, bevor sie sich seinen äußeren zeigten. Nicht für einen Schmied bestimmt, sondern für einen Piloten.
Der Humanoide war groß, an die zwei Meter, schätzte Rahil, und gertenschlank, mit schmalen Schultern, auffallend langen Armen und dünnen Beinen. Staub bedeckte die Kleidung, die aus Polymerfasern bestand. So widerstandsfähig und stabil diese Fasern auch sein mochten: Zehn Millionen Jahre waren an ihnen nicht spurlos vorübergegangen. Das Gesicht des Humanoiden war grau wie die Hände, grau wie das Licht und die Bibliotheksfäden des Artefakts, aber es wirkte nicht ganz mumifiziert; unter der Haut gab es noch Substanz, die sie von den Knochen trennte. Die Augen waren geschlossen, die Stirn darüber hoch. Dünner Haarflaum bedeckte den Schädel.
Rahil ging langsam um das Podium herum. Die Decke, schwarz wie die Außenseiten des Artefakts, wölbte sich wie eine Kuppel. Silbergraue Streben, acht an der Zahl, führten von den Wänden über die Decke und trafen sich in ihrer Mitte, genau über dem Podium mit dem Sessel.
»Er ist tot«, sagte Coltan und deutete auf den Mann im Sessel. »Sieh ihn dir an, Junge. Er muss schon lange tot sein.« Es klang enttäuscht.
Jazmine strich mit den Fingern über die fraktalgeometrischen Muster, die weiß und grau wie Raureif auf den dunklen Wänden lagen. Rahil sah sie, mit den äußeren wie den inneren Augen, als das, was sie waren: Tausende von Verbindungen durch Raum und Zeit; eingefrorene, wartende Kickouts, mit variabler Plus- oder Minuszeit, abhängig von den Wünschen der Reisenden. Das Artefakt war nicht nur eine Superschmiede, sondern auch ein Transferzentrum. Von hier aus konnte man zu jedem Ort gelangen, den das Lied der Kosmischen Enzyklopädie erreichte.
»Er ist tot«, sagte Coltan. »Du hast uns zu einem Toten geführt.«
Er versteht nicht, dachte Rahil. Vielleicht hatte er nie verstanden. Weil ihm die inneren Augen und Ohren fehlten, die man brauchte, um gewisse Dinge zu sehen, um Zusammenhänge zu erkennen, und um die Untertöne zu hören, zwischen den Worten.
Joyce, der Mann von der Ägide, sah zum Podium hoch und beobachtete die reglose Gestalt im Sessel. »Er ist nicht tot, oder? Nicht ganz.«
Rahil blieb an der Seite des Podiums stehen und betrachtete das Profil des Mannes. »Er hat das Artefakt aus der Zukunft hierhergebracht.«
»Ein besonders guter Pilot kann er nicht gewesen sein«, sagte Coltan abfällig. »Er verfehlte das Ziel um zehn Millionen Jahre.«
»Er war der beste Pilot, den sie hatten. Der beste Pilot für die wichtigste Mission. Er kannte die Gefahr. Aber der Gegner war noch gerissener, als er dachte, und zwang ihn, den Kurs zu ändern.«
Das Wissen war da, wenn man es brauchte, wenn man es haben wollte. Es kam nicht als Flutwelle, die gegen das Bewusst sein schmetterte, Gedanken durcheinanderwirbelte und fortriss. Es tropfte oder floss langsam, durch von Fragen geschaffene Lücken, brachte Antworten und Hinweise auf Verbindungen.
»Wer
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