Artefakt
unberechtigt.«
Der Instruktor beugte sich vor, und mit einem leisen Knistern strichen seine Hände über den blutroten Marmor. Einen Moment beobachtete Rahil sie fasziniert, denn das Geräusch erinnerte ihn an etwas. »Das Artefakt darf auf keinen Fall in die falschen Hände fallen«, betonte der grauhaarige Mann noch einmal. »Das müssen Sie unbedingt verhindern.«
»Ich nehme an, mit den falschen Händen sind alle Hände außer denen der Ägide gemeint, nicht wahr?«
Der Instruktor schwieg erneut.
»Ist das alles?«, fragte Rahil. Wieder huschte ein Flackern über die weißen Wände, und das Knistern, mit dem die Hände des Instruktors über den Tisch gestrichen waren, erklang erneut, obwohl sich die Hände nicht bewegten.
»Sammaccan wird Ihnen helfen, Exekutor. Wir haben ihn extra für diesen Zweck von Heraklon zur Station der Ägide bei Ganska gebracht. Er verließ den Planeten in der Hoffnung, von uns Waffen für den Freiheitskampf der Männer von Munraha zu bekommen, aber die können wir ihm natürlich nicht geben. Er ist jung und unerfahren …«
Und dumm und dreist, dachte Rahil, der aus dem Augenwinkel die Wände beobachtete und gleichzeitig dem leiser gewordenen Knistern lauschte. Hinter dem Instruktor verdunkelte sich ein Teil der weißen Wand. Umrisse bildeten sich.
»Vielleicht können wir ihn eines Tages zu einem Missionar ausbilden«, sagte der ältere Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs. »Stellen Sie ihm in Aussicht, in die Dienste der Ägide treten zu können. Dann wird er …«
Der Instruktor runzelte die Stirn, stand auf, drehte sich halb um … und verschwand.
Aus den dunklen Linien in der weißen Wand hinter dem Schreibtisch wurde ein Fenster, durch das Rahil einen grauen Himmel sah.
Rahil erhob sich. »Programm Ende.«
Nichts geschah. Der Tisch aus blutrotem Marmor stand noch immer vor ihm, fest und massiv, wie damals im Arbeitszimmer seines Vaters, und er befürchtete plötzlich, dass Coltan Jaqiello Tennerit, obwohl seit vielen Jahren tot, den Platz des Instruktors hinter dem Schreibtisch einnehmen konnte: ein Gesicht wie aus Stein gehauen, dunkel und ernst, die Augen kalt, die Lippen unberührt von einem Lächeln. Er glaubte, seinen Blick zu spüren, aus den dunklen Tiefen der Vergangenheit, ein Blick so streng wie das Gesicht und scharf wie ein Messer. Als Knabe hatte er sich davon durchbohrt gefühlt, unfähig, auch nur das kleinste Geheimnis vor ihm zu verstecken. Wäre das aus mir geworden?, fragte er sich, während er zum Fenster sah und ahnte, welcher Anblick ihn dort unter dem grauen Himmel erwartete. Ein Mann, der niemals lächelt und dessen Wort über Leben und Tod entscheidet? Und Jazmine? Was wäre sie gewesen? Eine Frau ohne Herz und ohne einen Sinn für das Schöne? Es schien unmöglich zu sein. In seiner Erinnerung lachte sie immer. Oder fast immer. Er hatte versucht, sie so in seinem Gedächtnis zu bewahren: die Augen voller Glanz, im Gesicht ein inneres Licht, das selbst dort Farben schuf, wo sonst alles grau war.
»Schiff?«, fragte Rahil, doch es blieb still bis auf das leise Knistern. Plötzlich stellte er fest, dass er sich bewegte. Wie ein Gast im eigenen Körper beobachtete er die Schritte, die ihn auf die andere Seite des Schreibtischs brachten, der so rot war wie das von seinem Vater vergossene Blut. Er trat ans Fenster, legte die Hände auf den Sims und schaute auf die Stadt unter dem grauen Himmel mit den wenigen breiten Straßen und vielen schmalen Gassen.
»Programm beenden«, sagte er noch einmal, aber er fiel bereits, der Stadt und seinen Erinnerungen entgegen.
8
Jazmine sah aus dem Fenster, während Emily sprach. Regentropfen schlugen an die Scheiben, und einigen von ihnen folgte sie mit den Fingerspitzen auf ihrem Weg hinunter zum Sims. Rahil blickte an seiner Schwester vorbei zu den Schiffen, die am Kai auf höher werdenden Wellen schaukelten. Über ihnen baumelten die Greifarme der Kräne im Wind. Die wenigen Menschen, die bei diesem Wetter noch an den Anlegestellen unterwegs waren, gingen gebückt, die Kapuzen ihrer Regenjacken tief in die Stirn gezogen.
Niemand weiß, dass wir hier sind, dachte Rahil, und dieses Wissen brachte eine wohlige Wärme, fast wie die des Feuers, das hinter ihnen im Kamin brannte. Es ist unser kleines Geheimnis.
Seit einigen Wochen hatten sie viele kleine Geheimnisse mit Emily, ihrem neuen Kindermädchen.
»Hört nur den Wind«, sagte Jazmine, als Emily schwieg. »Wie er zischt und faucht.« Sie wich
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