Artefakt
vielleicht, dass wir nicht fähig sind, unsere eigenen Prinzipien zu achten.«
Wir würden auf beiden Seiten verlieren, dachte Rahil und sagte: »Aber ein Exekutor eignet sich bestens als Sündenbock. Er trifft seine Entscheidungen in Eigenverantwortung, und wenn sie falsch sind, kann man ihm die Schuld geben.«
»Ganz so einfach ist es nicht.«
»Es ist nie ganz so einfach«, sagte Rahil. »Aber manchmal machen wir alles unnötig kompliziert.« Er seufzte leise. »Wissen wir inzwischen, ob es sich bei dem Artefakt um primäre Technik handelt?«
»Unsere Experten gehen davon aus.«
»Aber … auf einem Planeten?« Rahils Erinnerungen zeigten, dass er sich diese Frage auch vor der Aufzeichnung des Images gestellt hatte, aus dem jetzt sein Selbst bestand. Die Primären – die ersten Zivilisationen, die das junge Universum geboren hatte – trugen längst keine planetaren Fesseln mehr, denn Planeten waren zu empfindlich und zu kurzlebig. Sie schufen sich ihre eigenen Welten, in zeitlosen Raumfalten oder eingekapselten Dimensionen.
»Wir wissen aufgrund von geologischen Untersuchungen, dass es vor etwa zehn Millionen Jahren in der arktischen Region von Heraklon zu einer großen Explosion kam. Lange Zeit gingen wir von einem Meteoriteneinschlag aus und nahmen an, dass das Artefakt mit dem Meteoriten nach Heraklon kam. Dass es beim Impakt nicht vernichtet wurde, hielten wir für einen weiteren Hinweis darauf, dass es sich um primäre Technik handelt. Aber bevor unsere Sensoren ausfielen, als vor sieben Monaten die Aktivität des Artefakts begann, orteten sie eine temporale Signatur.«
Rahil spitzte die Ohren. Diese Information war neu.
»Inzwischen vermuten wir, dass das Artefakt von Heraklon eine Zeitreise hinter sich hat«, sagte der Instruktor. Er sprach noch immer sehr ruhig, ohne seinen Worten eine besondere Betonung zu geben. »Die Explosion wurde nicht von einem Meteoriteneinschlag verursacht, sondern von temporaler Lateralenergie, bedingt durch die Masse des transferierten Objekts und die Länge der Reise. Nach den letzten Berechnungen unserer Experten gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Artefakt aus der Zukunft kommt.«
»Jemand hat es nach Heraklon geschickt.«
»Ja.«
»Wer? Und zu welchem Zweck?«
»Finden Sie es heraus«, sagte der Instrukteur. »Und verhindern Sie, dass das Artefakt in die falschen Hände gerät. Wenn es wirklich primäre Technik ist, wäre bei den Gefallenen Welten ein Technoschock zu befürchten, der ebenso verheerend sein könnte wie das Ereignis vor sechshundert Jahren.«
»Was sagen die Hohen Mächte dazu?«
»Nichts.«
»Nichts?«
»Sie schweigen.«
»Aber wenn es sich bei dem Artefakt wirklich um primäre Technik handelt, so müssten sie doch davon wissen, oder? Ich meine, die Hohen kennen sich doch untereinander?«
Der Instruktor schwieg. Offenbar konnte er mit dieser Frage nichts anfangen.
Rahil sprach einen weiteren Gedanken aus. »Warum ich allein? Wäre es nicht besser, eine Einsatzgruppe zu schicken?«
»Missionare der Ägide sind unterwegs, und einige von ihnen dürften Heraklon inzwischen erreicht haben. Sie werden sich beim Konsulat in Munraha melden, der vereinbarten Kontaktstelle. Dort erfahren Sie Einzelheiten und erhalten Gelegenheit, auf die Hilfe der Missionare zurückzugreifen. Sie sind der einzige Exekutor, Rahil Tennerit.«
»Munraha …«, murmelte Rahil.
»Die arktische Region, in der sich das Artefakt befindet, gehört zum Territorium dieses Nationalstaats. Sammaccan wird Ihnen helfen. Männer gelten in Munraha nicht viel, aber er ist Sohn der Ersten Mutter und kann sich daher in Munraha frei bewegen. Das ist wichtig. Außerdem zählt er zu den Anführern einer Untergrundbewegung, die sich die Befreiung des munrahanischen Mannes zum Ziel gesetzt hat. Mit anderen Worten: Er verfügt über zusätzliche Ressourcen, die sich als nützlich erweisen könnten.«
Rahil gewann erneut den Eindruck, dass die aktuelle Situation wichtige Unterschiede zu der aufwies, die ihm seine Erinnerungen präsentierten. »Warum sollten wir auf planetare Ressourcen solcher Art angewiesen sein? Wir sind die Ägide.«
Das Gesicht des Instruktors verfinsterte sich. »Auch auf Heraklon drohen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Nationalstaaten. Alle wollen das Artefakt für sich, und alle befürchten, dass es ihnen weggenommen werden könnte.«
»Von einem der anderen Staaten. Oder von uns. Ich schätze, diese Befürchtungen sind nicht ganz
Weitere Kostenlose Bücher