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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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die Worte nur zu verstehen, wenn man sich ganz auf sie konzentrierte. Rahil näherte sich vorsichtig und stellte die Laterne so ab, dass ihr Schein nicht aufs kleine Fenster fiel. Dann beugte er sich vor und spitzte die Ohren.
    »Er ist der Letzte«, sagte jemand. Die Stimme klang vertraut, war aber so leise, dass es einige Sekunden dauerte, bis Rahil sie identifizierte. Ruben. »Die beiden anderen sind vor einer Stunde gestorben.«
    »Wie konnte das geschehen?«, fragte die zweite Stimme, und Rahil hielt unwillkürlich den Atem an. Sein Vater! »Die Droge wirkt nicht tödlich. Jedenfalls hat sie bis jetzt nie tödlich gewirkt. Wenn uns Duartes minderwertiges Zeug untergeschoben hat …«
    Duartes war jemand von außerhalb, wusste Rahil, ein Mann nicht von der Ägide, sondern aus der Bruch-Gemeinschaft. Er handelte mit verbotenen Dingen, darunter geschmuggelter Außenwelt-Technik.
    »Das würde er nicht wagen, Sire. Ich vermute eher, dass diese Männer ein Implantat in sich tragen, das auf solche Drogen reagiert und sie tötet, bevor sie uns etwas verraten können.«
    Einige Sekunden herrschte Stille, und dann hörte Rahil ein Geräusch wie ein Klatschen. »Wo befindet sich der Uterus der Joulwan?«, fragte Coltan Jaqiello Tennerit scharf. »Wie sind sie in ihren Besitz gelangt? Welche Pläne hat dein Patron? Heraus damit! Wann will er die nächsten Attentäter schicken? Wo sollen sie zuschlagen?«
    Rahil hatte den Atem so lange angehalten, dass er plötzlich nach Luft schnappen musste, und das nächste Geräusch verlor sich halb in dem Zischen.
    »Es nützt nichts, wenn Sie ihn schlagen, Sire«, sagte Ruben. »Er spürt es gar nicht mehr. Das Implantat bringt ihn um.«
    Wieder folgte Stille, und diesmal dauerte sie länger. Rahil lauschte und überlegte, ob er etwas Schmutz von dem alten Fenster kratzen sollte. Aber damit hätte er sich vielleicht verraten.
    Nach einer Weile hörte er Rubens Stimme. »Er ist tot, Sire.«
    »Schaffen Sie ihn mir aus den Augen!« Das war Coltan: aufgebracht, enttäuscht, zornig. »Weg mit ihm! Lassen Sie ihn verschwinden, wie die anderen.«
    Wie die anderen, dachte Rahil und erinnerte sich an die Worte, die Ruben vor drei Jahren an Darel gerichtet hatte: Schaff sie weg .
    Emily …
    Er beugte sich vor und versuchte, einen Blick durch das Fenster zu werfen, aber es war zu schmutzig. Er konnte nicht einmal erkennen, wie groß der Raum war, in dem sich sein Vater und Ruben befanden, oder welchem Zweck das Zimmer diente. Er wusste nur, dass dort gerade jemand gestorben war.
    Plötzliche Furcht ließ ihn zittern. Er fragte sich, was mit ihm geschehen würde, wenn man ihn an diesem Ort entdeckte.
    Ein seltsames Geräusch ertönte auf der anderen Seite des schmutzverkrusteten Fensters, eine Art klingelndes Fauchen, und Rahils Vater sagte: »Gehen Sie jetzt, Ruben. Rufen Sie die anderen zu einer Besprechung. In einer Stunde.«
    »Ja, Sire.«
    Rahil rückte noch etwas näher an das Fenster heran und achtete darauf, dass er die Laterne mit seinem Körper abschirmte. Stille herrschte, und in dieser Stille schien das leise Zischen seines Atems immer lauter zu werden. Die Luft in dem schmalen, dunklen Tunnel war abgestanden und voller Staub, und in seiner Nase begann es zu kitzeln. Einige Sekunden lang kämpfte er gegen den Niesreiz an.
    Plötzlich kam helles Licht durchs Fenster.
    Rahil fuhr unwillkürlich zurück – auf einmal war es so hell, als hielte jemand auf der anderen Seite eine Lampe an die verdreckte Scheibe. Aber das Licht verschwand so schnell, wie es gekommen war, und graue Düsternis kehrte zurück. Mit ihr kam etwas, das keine Substanz hatte und sich nicht greifen ließ; aber es war da, für ein oder zwei Sekunden, strich Rahil über die Haut, prickelte in seinen Ohren und verließ ihn dann wieder.
    »Ich grüße Sie, Exzellenz«, hörte er seinen Vater sagen.
    Das war eine weitere Überraschung. Die Anrede »Exzellenz« verwendete Coltan nur bei hohen Würdenträgern, meistens gegenüber Mitgliedern der Regierung von Caina oder des Dutzends, und manchmal enthielt dieses eine Wort eine Ironie, die nur wenige Eingeweihte wahrnahmen. Rahil hatte einmal gehört, wie sein Vater es ausgesprochen hatte, bei einem Empfang des Pontifex der Großen Einen Kirche, und er hatte den Schatten des abfälligen Lächelns gesehen, das dabei auf Coltans Lippen gelegen hatte. Später, bei einem Gespräch mit seinen Beratern, hatte er den Pontifex von Swanick verächtlich »Gecko« genannt, ein

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