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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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du gelauscht, Junge? Was hast du gesehen, was gehört?«
    Das Wesen mit dem Auge streckte etwas aus, das vielleicht ein Arm war, oder auch ein Tentakel oder ein Ast, und Rahil schrie, als er eine Berührung fühlte.
    »Ganz ruhig, mein Junge, ganz ruhig.« Das war die Stimme seines Vaters, und er stand neben dem Bett, im sonst steinernen Gesicht eine Sorge, die Rahil dort noch nie gesehen hatte. Was er gefühlt hatte, war Coltans Hand auf seiner Schulter. Weiter hinten wartete Vivienne, stumm wie eine Statue, und auch so steif und unbewegt. Auch diesmal wahrte sie Abstand und vermied es, Rahil nahe zu kommen.
    Der Zitadellenarzt war da, ein vertrockneter alter Mann, der verängstigt wirkte, und noch jemand, den Rahil zum ersten Mal sah, ein Mann in mittleren Jahren, dessen helle Haut verriet, dass er weder auf Caina geboren war noch auf einer anderen Welt des Dutzends. Er stand direkt neben Coltan, in etwas gekleidet, das eine Art Uniform zu sein schien, aber ohne Rangabzeichen und ohne das Symbol der Ägide.
    »Ich habe jemanden mitgebracht, der dir helfen kann, Sohn«, sagte Rahils Vater.
    Es muss schlimm um mich stehen, dachte Rahil. Es muss mir wirklich sehr schlecht gehen, wenn mein Vater bereit ist, die Hilfe eines Außenweltlers in Anspruch zu nehmen.
    Aber vielleicht, dachte er dann, ist dies alles nur ein Traum. Vielleicht schafft der Fieberwahn Trugbilder und Hirngespinste in meinem Geist.
    Der fremde Mann kam ganz nahe heran und richtete ein Gerät auf Rahil, das ebenso schlicht wirkte wie seine Uniform. Er sah auf die Anzeigen und wölbte überrascht die Brauen.
    »Ein Fraktalschatten«, sagte er. »Der Junge ist einem schlecht abgeschirmten Kickout ausgesetzt gewesen.« Er wandte sich Coltan zu. »Hier? Auf Caina? In dieser Zitadelle?«
    Das Gesicht von Rahils Vater wurde wieder völlig ausdruckslos. »Können Sie ihm helfen?«
    »Das kann ich, ja. Aber …«
    »Dann helfen Sie ihm. Jetzt sofort.«
    Die Stimmen und Gesichter wichen fort. Rahil schloss die Augen und fragte sich, ob man im Traum einschlafen konnte.
    Als Rahil erwachte, war es dunkel im Zimmer, und für einen Moment glaubte er, dass er wieder nur träumte, dass ihn der Fieberwahn vielleicht zurückbrachte in den Tunnel. Aber er fühlte sich anders, besser, der Kopf war klarer, das Feuer aus seinem Innern war verschwunden. Nach einigen Sekunden begriff er, dass es Nacht geworden war.
    An der Seite des Bettes bewegte sich jemand.
    »Was hast du gesehen, was gehört?«, flüsterte jemand.
    Entsetzen packte Rahil, kalt wie Eis, und lähmte ihn. Sein Vater stand dort, eine dunkle Silhouette im noch dunkleren Zimmer. Bis auf die Augen, die ein seltsames Licht zeigten, ein mattes Glühen, das von innen zu kommen schien. Dann merkte Rahil, dass sie einen kleinen Lichtstrahl reflektierten, den Cambronne oben durch eine von den Vorhängen unerreichte Ecke des Fensters schickte.
    Er lag da, unfähig sich zu rühren, und starrte zu seinem Vater hoch.
    »Rahil? Bist du wach?«
    »Ich glaube … es geht mir besser.«
    Coltan legte ihm die Hand auf die Stirn. »Du bist nicht mehr so heiß. Du musst dich erholen, Sohn. Hörst du? Du musst wieder gesund werden.«
    »Ja, Vater.«
    Die Silhouette bewegte sich, und kurze Zeit später war Rahil allein in einem Zimmer, in das der Gasriese Cambronne gerade genug Licht schickte, um hier und dort die Umrisse der Einrichtung in der Dunkelheit erscheinen zu lassen. Es dauerte eine Weile, bis sein Herz langsamer schlug und er sich so weit beruhigt hatte, dass er einschlief.
    Zwei Wochen später fand das Perlenschnurfest statt, das diesmal besonders eindrucksvoll war, weil sich vor dem gestreiften Riesen Cambronne nicht nur sieben Monde aufreihten, sondern neun. Dementsprechend hoch schlugen die Wellen an die Flutmauern von Dymkes Hafen. Tagsüber konnte man selbst in der Zitadelle das Donnern der Brandung hören. Erst als der Abend kam, rückte es hinter die Musik, zu der zuerst die Kinder tanzten, dann junge Paare in der Adoleszenz. In diesem Jahr fiel das Fest mit dem Mittsommertag zusammen, und das Wetter meinte es gut mit den Feiernden, denn der Himmel blieb frei von Regenwolken. Auf dem Platz in der Zitadellenmitte, umgeben von den sieben Säulen der Tennerits, waren Banketttische aufgestellt, und viele Gäste standen dort, mit Gläsern in der Hand. Als die Dunkelheit des Abends über den Himmel kroch, wurde die Mu sik lauter und die Stimmung ausgelassener. Rahil hatte sich gut erholt, blieb aber abseits der

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