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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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die aus der Öffnung drang und ihn Monate oder Jahre nach diesem Augenblick zu einem qualvollen Ende verurteilte. Damit war sein Schicksal besiegelt gewesen, bis hin zu seinem Begräbnis in einem Kuppelgrab aus Kalksteinquadern, zusammen mit dem mörderischen alterslosen Ungeheuer, das ihn getötet hatte.
    Sie bewegte sich ruhelos, halb erstarrt vor Kälte, aber beschäftigt mit Ideen und Möglichkeiten. John regte sich, suchte ihre Wärme. Die Dunkelheit lastete schwer.
    Was hatte der König sich unter der Singularität vorgestellt? Welche Überlieferung hatte er mit dieser Ruhmestat begründet, während seine Steinmetze den Würfel behauen hatten, die kubische Falle? Sie versuchte sich das Ende des Königs vorzustellen, dahinsiechend von der Strahlenkrankheit, von nässenden Schwären bedeckt, kahlköpfig, zum Skelett abgemagert, phantasierend im Delirium, vielleicht endlich erratend, daß das Ding im Stein ihm die schweißigen, erhitzten Fieberträume eingebracht hatte, die quälende Übelkeit, den körperlichen Verfall.
    Sie schüttelte John schwach. Er ächzte, mühte sich aus irgendeiner Tiefe nach oben. »Ja?«
    »Der Bernsteinzapfen, John. Ich weiß, welche Bewandtnis es damit hat.«
    »Was? Ich weiß nicht…«
    »Er ist golden, verstehst du? Erinnerst du dich an den Stierkopf im Museum auf Kreta?«
    Er streckte die Hand aus und tastete mit eiskalten Fingern in der Dunkelheit nach ihrem Gesicht. »Quäl dich nicht… Leg dich wieder hin!«
    »Nein, mir fehlt nichts, ich möchte es dir nur erzählen. Hör zu! Die goldenen Hörner haben bei den mykenischen Griechen eine zeremonielle Bedeutung, und dieses Horn ließ der König, dieser tote König oben im Grab, an seiner Beute anbringen. Ein Horn. So entstand eine Legende um dieses Vorstellungsbild von einem gehörnten Ding in der Erde.«
    »Ich sehe nicht…«
    »Dem gehörnten Ungeheuer, das der König jagte und zur Strecke brachte. Mit sich heimführte, verstehst du? Du und Zaninetti, ihr habt immer darüber geredet, als wäre es ein neues Stück der Teilchenphysik. Aber auch damals sahen Menschen die Singularitäten, einzelne müssen dann und wann an die Oberfläche gekommen sein, die Menschen geängstigt haben, und… Es war wichtig, es war Geschichte.«
    »Hör mal, ich bin müde, ich…«
    »Geschichte, die uns als Legende überliefert wurde! Nur ist sie ganz verdreht auf uns gekommen. Was kannst du von Bauern erwarten, die versuchen, etwas zu beschreiben, was so schrecklich ist wie eine vagabundierende Singularität? Der König war wirklich ein großer König, weil er das Ungeheuer tötete. Oder jedenfalls fing.«
    »Was redest du da?« murmelte er benommen. »Ungeheuer?«
    »Das Ungeheuer oder den Gott oder den Dämon, den wir wieder freigesetzt haben. Wir ließen sein Gefängnis in den Schacht hinunterfallen, so daß eine Hälfte durch den natürlichen Ausgang – die ›Symmetrieachse‹, wie du sagtest – ins Freie schoß. Genauso wie es hineingekommen war, kurz nachdem der König begraben worden war. Beide Singularitäten lebten in den Höhlen von Santorin und versetzten die Bewohner in Angst und Schrecken. Vielleicht hatten die vulkanischen Schlote sie aus dem Untergrund heraufgetragen. Und der König hörte davon, er kam und fing eine – hörte sie summen, bereits im Felsgestein gefangen! Eine große Tat! Er wußte nicht, daß es einen Zwilling gab. Sie suchten einander, und von Zeit zu Zeit werden sie an die Oberfläche gekommen sein. Wie hätten die Bewohner sie unterscheiden sollen? Sie dachten, es gäbe nur ein Ungeheuer.«
    »Du meinst also, wir…«
    »Ja! Und als der König sie einfing, entstand daraus eine Legende. Eine veränderte, verständlich aufbereitete Version der Wahrheit. Das Ungeheuer war in der Erde, und als der König starb, kehrte es in die Erde zurück. Mit seinem Horn! Dem Bernsteinhorn!«
    »Ich weiß nicht…«
    »Das Horn ist der Schlüssel.« Sie lachte. »Die Singularität war der Minotauros.«

 
12
     
    Kälte, die bis auf die Knochen schnitt, den Körper seines Willens zur Bewegung, seines natürlichen Dranges, Blut in die tauben Gliedmaßen zu pumpen, sogar seiner Lust zu atmen beraubte. Er fror schon so lange, daß er die Schmerzen und die Starrheit der Unterkühlung aus dem Bewußtsein verloren hatte, und die Kälte wie den Schmerz als eine separate Einheit empfand, eine Gegenwart, die in seinem Körper mit ihm hauste, sich von ihm nährte und ihn nie wieder verlassen würde.
    Er öffnete die Augen, aber es war

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