Artefakt
über ihre Aussichten auf das Grab. Sie lächelte bei dem Gedanken, daß sie selbst an diesem Ort, der wahrscheinlich ihr eigenes Grab sein würde, noch die Zerstörung eines solch guterhaltenen und seltenen Kulturdenkmals wie des Kuppelgrabes bedauerte. Das Artefakt hatte viele mögliche Interpretationen des Begräbnisplatzes eröffnet, Ideen und Hinweise gebracht, denen nachgegangen werden sollte, weil sie eine sorgfältige Untersuchung rechtfertigten.
Es war offensichtlich, daß die Singularität magnetisch in dem Kalksteinblock gefangen gewesen war, bevor er zum Grab geschafft worden war. Möglicherweise bot der Bernsteinzapfen eine Möglichkeit, das schreckliche Licht der Singularität zu sehen, ohne sich als Betrachter in Gefahr zu bringen.
Aber warum den Würfel vergraben? Weil er einem Herrscher gehört hatte, einem großen Mann? Vielleicht. Aber die mykenischen Griechen hatten wie fast alle anderen Völker des Altertums ihren Toten Gerätschaften und Werkzeuge mitgegeben, die ihnen während der Reise in die Unterwelt von Nutzen sein würden. Die Gerätschaften wurden nahe dem Körper zurückgelassen. Warum hatte man den Würfel hinter der Mauer der Grabkammer vergraben?
Weil er gefährlich war? Nicht für die Toten, aber vielleicht für die Lebenden, die mit der Vorbereitung des Grabes für die Beisetzung beschäftigt gewesen waren.
Wenn die Kratzspuren am äußeren Block tatsächlich von Bediensteten herrührten, die mit ihrem Herrn begraben worden waren, dann hatten diese Diener das Artefakt selbst gewollt. Vielleicht hatten sie gewußt, daß es etwas enthielt, was Gestein durchschneiden und eine Öffnung in die Mauern des Grabes machen konnte. Sie hatten sicherlich gewußt, daß an ein Entkommen durch die versiegelte Tür und die Tonnen von Gestein, Sand und Erde davor nicht zu denken war.
Sie hatten versucht, sich der vorhandenen Möglichkeiten zu bedienen. Aber wer immer die Kratzspuren hinterlassen hatte, hatte sein Ziel nicht erreicht und war umgekommen.
Angenommen, jeder hatte gewußt, daß das Artefakt etwas sehr Gefährliches enthielt. Daß etwas darin gefangen war, weil der große Mann es sonst nicht bei sich behalten hätte. Aber die trauernden Hinterbliebenen wollten es nicht in ihrer Nähe haben, sollte es nach dem Tod des Mannes freigesetzt werden, wo es töten und zerstören konnte.
Stolz. Dies alles ließ auf eine gewisse Hybris schließen, den prahlerischen Stolz eines Mannes nach einer Großtat, einem Sieg, der längst im Staub der Jahrtausende verschwunden war. Er mochte das Artefakt als Siegesbeute geschätzt haben, hatte vielleicht die im Stein gefangene Singularität aus gewachsenem Fels herausmeißeln und zu einem Würfel machen lassen.
Auf die Weise konnte er in Größe und Pracht zurückkehren und seinem Volk das gefangene Ungeheuer zurückbringen. Hier, konnte er prahlen, seht meine Beute! Und die Daheimgebliebenen zogen den Kopf ein, ängstlich und ehrfürchtig, als sie den roh behauenen Würfel gewahrten. Seht, konnte er sagen, den Bernstein. In ihm glüht der innere Dämon. Und um zu zeigen, wie unbekümmert er war, konnte er den Würfel mit einer Inschrift in Linear A und einer Elfenbeinkarte als Herkunftszeichen versehen lassen.
Die Karte. Was wäre natürlicher gewesen als die Anbringung eines Zeichens seiner Reisen, seiner Triumphe?
Ein Zeichen für die Herkunft des Würfels. Santorin.
Das Elfenbeinplättchen war die erste Karte irgendwelcher Art aus dem mykenischen Griechenland, aus der fernen Zeit, als die Legenden geboren wurden, die später von Homer zu den unvergänglichen Epen seiner Kultur verarbeitet werden sollten. Die Anfertigung von Karten ergab sich mit größter Wahrscheinlichkeit aus den Notwendigkeiten der Navigation, also zeichnete man sie auf Pergament oder anderes Schreibmaterial. Etwas, was ein Schiffer oder Handelsmann mit sich führen konnte. Kein Schmuckstück, das mühsam in kostbares Elfenbein geritzt war. Dieses zerbrechliche Plättchen war offensichtlich eine Manifestation von Reichtum und Glanz.
Also war der große Mann, der König, aus irgendeinem Grund nach Santorin gereist und hatte das Ding im Stein zurückgebracht. Er mußte es unter der Erde gesucht und gefunden haben, ein Glücksfall, den er in eine große Heldentat umzumünzen verstand.
Sie versuchte sich zu erinnern, was John und Sergio Zaninetti über die beiden Singularitäten gesagt hatten. Zusammen mochten sie sehr viel friedlicher sein. Hatten sie erst zusammengefunden,
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